Wir leben von der Hand in den Mund

Dr. Lothar Tippach

Die Stadt Leipzig ist in der tiefgreifendsten Finanzkrise seit 1990. Bund und Land haben die Ursachen für die anhaltende Finanzmisere der Kommunen gesetzt und auch die aktuelle Finanzsituation in Leipzig zu verantworten.

Die Stadt Leipzig ist in der tiefgreifendsten Finanzkrise seit 1990. Bund und Land haben die Ursachen für die anhaltende Finanzmisere der Kommunen gesetzt und auch die aktuelle Finanzsituation in Leipzig zu verantworten. Früher noch vorhandene Reserven, sind seit langem, vor allem für Großprojekte, aufgebraucht. Rücklagen für die Tilgungsvorsorge für Kredittilgungen sind nicht vorhanden. Wir leben von der Hand in den Mund. Das haben wir mehrfach kritisiert und Veränderung gefordert. Leipzig ist eine bettelarme Stadt! Das Prinzip Hoffnung regiert!
All das ist den Bürgern angesichts der fertiggestellten und geplanten Großprojekte, einschließlich des Straßenneubaus, des bfb-Desasters, mit erheblichen finanziellen Folgen usw. nur schwer zu vermitteln. Die Fraktion hat diese Haushaltspolitik mehrfach stark kritisiert und es sind Veränderungen gefordert worden, auch in Richtung einer größeren Vorsorge. Aber das hilft uns jetzt nicht weiter, will man eine verantwortungsbewußte Politik betreiben. Und die PDS-Fraktion wird eine verantwortungsbewußte Entscheidung treffen. Zumal die Ursachen für die aktuell eingetretene Situation tiefer liegen und zum großen Teil nicht von der Stadt zu verantworten sind.

Quasi über Nacht wurden durch die Landesregierung 31,1 Mio. Euro Zuschüsse für den Vermögenshaushalt gestrichen. Damit wären einschließlich der Fördermittel für ca. 50 Mio. Euro Investitionen nicht zu realisieren gewesen, u.a. sind davon Mittel der Städtebauerneuerung in Sanierungsgebieten, des Stadtumbaus auch in Grünau sowie für die Sanierung von Kindertagesstätten und Schulen betroffen. Auch die Weiterführung des Baus der Nordtangente Schönefeld würde sich mit allen negativen Auswirkungen verzögern. Das ist die aktuelle Ursache für den jetzt vorliegenden Nachtragshaushalt.
Aber auch der Nachtragshaushalt 2003 ist nur Reparatur. Er löst keineswegs die finanziellen Probleme der Stadt für die nahe Zukunft.

Hauptursache für die Finanzmisere ist die seit langem vorhandene strukturelle Finanzkrise der Kommunen. Die ostdeutschen Städte und Gemeinden trifft es dabei am härtesten. Die seit Jahrzehnten notwendige Gemeindefinanzreform wurde nicht eingeleitet. Diese Ignoranz hat sich unter der Regierung Schröder fortgesetzt. Er sprach noch auf der 31. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Leipzig im Jahre 2000 in seiner Begrüßungsrede von den Kommunen als den reichen Verwandten.

Durch die anhaltende wirtschaftliche Krise wird die Lage verschärft. Das führt zu einer Situation, in der die Haushalte der Kommunen, auch der der Stadt Leipzig in schweres Fahrwasser geraten. Die Lage ist dramatisch. Nichtausgeglichene Haushalte, fortschreitender Abbau kommunaler Leistungen, nicht nur der so genannten freiwilligen Leistungen, sondern auch der Pflichtaufgaben sind als Folge des Personalabbaus an der Tagesordnung usw. usf. Und das auch in Leipzig! „Rettet die Kommunen - jetzt!“ ist das Motto.

Sind sie noch zu retten? Ja, wenn zwei Grundbedingungen erfüllt werden:

1. Ein kurzfristiges Soforthilfeprogramm muss aufgelegt werden. Es muss die Rücknahme der Absenkung der Gewerbesteuerumlage durch die Bundesregierung zu Lasten der Kommunen auf das Niveau von 1999 und die Einführung einer allgemeinen Investitionspauschale ohne komplementäre Finanzierung beinhalten. Die Aufbringung der Eigenmittel ist kaum bzw. nicht mehr möglich. Die Pauschale ist ein Beitrag zum Erhalt der kommunalen sozialen, kulturellen und technischen Infrastruktur sowie der Sicherung von Arbeitsplätzen, vor allem in der regionalen Bauindustrie. Erinnert sei an die positiven Erfahrungen mit einer solchen Pauschale in den Jahren 1991 bis 1993. Wir brauchen keine Kredite, auch keine zinsgünstigen, denn der Verschuldungsstand ist hoch genug.

2. Dringend notwendig ist die lange angekündigte Gemeindefinanzreform. Auch wenn der derzeitige Arbeitsstand eher zu Pessimismus Anlass gibt. „Außer Spesen nichts gewesen“, so leider das bisherige Fazit. Denn die meisten nach der Bundestagswahl angesetzten Kommissionssitzungen fielen auf Verschulden der Bundesregierung sprichwörtlich ins Wasser, während den Städten das Wasser bis zum Halse und darüber hinaus steht. Wenn die Gemeindefinanzreform nicht zeitnah eine Verstetigung der Einnahmesituation bei gleichzeitiger Entlastung der Kommunen auf der Ausgabenseite, z. B. durch die Verankerung des Konnexitätsprinzips bringt, wird die Handlungsfähigkeit der Stadt Leipzig, wie auch anderer Städte nicht mehr gegeben sein.

Diese Überlegungen stehen deshalb am Beginn meiner Ausführungen, weil die Lage der Kommunen nicht schlechthin auf eine vorübergehende Finanzkrise reduziert werden darf. Sie ist struktureller Art und damit eine Krise der Kommunalen Selbstverwaltung. Es handelt sich bei der Finanzkrise nicht nur um soziale und wirtschaftliche Verwerfungen. Es geht um die Zukunft der Kommunalen Selbstverwaltung und die Zukunftsfähigkeit des öffentlichen Gemeinwesens überhaupt. Die Ursachen für die Krise können von den Kommunen selbst nicht beseitigt werden.
Daran können auch weitere Aufgabenkritik und Verwaltungsmodernisierung nichts ändern. Auch wenn die PDS-Fraktion darauf drängt, dass neue leistungsfähige, Kosten ersparende Verfahren, Instrumentarien und Strukturen in die Verwaltung weiter eingeführt werden, wird das Grundproblem solange nicht beseitigt, solange es keine grundsätzlichen Veränderungen der Gemeindefinanzierung gibt. Wir lehnen eine Aufgabenkritik ab, die sich ausschließlich an fiskalischen Grundsätzen orientiert sowie letztlich zum Leistungsabbau und zur Reduzierung der Dienstleistungsqualität führt. Wir brauchen die grundsätzliche Diskussion über die kommunale Aufgabenstruktur in Leipzig und die zu ihrer Gewährleistung notwendigen Ressourcen. Darin inbegriffen eine Personalentwicklung, die diesen Namen verdient. Im Mittelpunkt muss die Sicherung und Entwicklung der Zukunftsfähigkeit der Stadt als sozialer Stadt stehen. Arbeit, Bildung, Kultur, Umwelt sind solche wesentlichen Bereiche. Wo liegen die Zielstellungen für die Perspektiven der Stadt? Es müssen Antworten auf die Frage gefunden werden, wie künftig die Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger unter sich verändernden Bedingungen nicht nur gesichert, sondern weiterentwickelt werden kann. Für eine solche Diskussion sind wir offen. Sie ist überfällig und muss öffentlich unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger geführt werden.

Durch die Olympiabewerbung ist Leipzig in einer Sonderstellung. Dies muss im Interesse einer erfolgreichen Bewerbung dazu führen, dass Leipzig bei der Verminderung von Haushaltszuweisungen gewissermaßen vor die Klammer gezogen , d. h. von Kürzungen verschont wird. Es macht keinen Sinn, wenn durch die Absenkung von investiven Zuweisungen Investitionen in Gefahr geraten, die unmittelbar die Infrastruktur und den Stadtumbau betreffen und damit die Stadtqualität.
Neben den genannten externen Ursachen für den Nachtragshaushalt muss auch darauf verwiesen werden, dass es hausgemachte gibt. Dazu gehören die Mehraufwendungen im Kindertagesstättenbereich in Höhe von rd. 7 Mio. Euro durch die Erhöhung der Anzahl der Kinder. Über das Ansteigen der Anzahl der Kinder sind wir froh. Kein Verständnis haben wir jedoch, dass man sich über Hinweise vor allem aus der PDS-Fraktion über Fehlplanungen im KITA-Bereich hinweggesetzt hat und jetzt in dieser Situation ist. Mit dem heute vorliegenden Nachtragshaushalt soll ein weiter ausgeglichener Haushalt erreicht werden. Dazu scheinen Steuererhöhungen neben Kreditaufnahmen und Ausgabensenkungen sowie Personalabbau alternativlos.Steuererhöhungen dürfen immer nur das letzte Mittel sein, um in Abwägung aller Umstände eine kurzfristig auftretende Haushaltskrise zu bewältigen. Auch wir halten Steuererhöhungen, vor allem der Grundsteuer, aus sozialen Gründen für sehr kritikwürdig und angesichts weiterer Belastungen für kaum erträglich. Hinzu kommt, dass nicht die Stadt und ihre Bürger die entscheidenden Gründe für eine Steuererhöhung gesetzt haben.

Wo liegen aber Alternativen? Keine echte Alternative wäre ein nicht genehmigungsfähiger unausgeglichener Haushalt oder eine Haushaltssperre mit weitgehenden Folgen für die Aufgabenerfüllung. Das würden Bürger und Wirtschaft sehr unmittelbar zu spüren bekommen. Auch der Verzicht auf Investitionen ist angesichts der Bedeutung dieser Investitionen für die regionale Wirtschaft in Krisenzeiten keine echte Alternative. Die CDU-Fraktion hat nur eine Scheinlösung anzubieten, da der Rückgriff auf die Sonderrücklagen real nicht möglich ist. Die Sonderrücklagen reichen allein von ihrer Höhe nicht aus, um das Defizit zu decken. Wesentlich ist jedoch, dass es zweckgebundene Rücklagen sind, die zum Teil durch Gebühren von den Bürgern und der Wirtschaft finanziert wurden, wie die Stellplatzablösegebühren. Das Allheilmittel Privatisierung und der Verkauf von städtischem Eigentum bedeutet in der Konsequenz, dass „Gewinne privatisiert und Verluste kommunalisiert“ werden sollen.
Die Rathauskoalition ist offensichtlich nicht mehr in der Lage die so genannte „Haushaltsmehrheit“ zu sichern, weil die CDU-Fraktion einem verantwortungslosen Populismus nach hängt. Diese nicht mehr vorhandene Handlungsfähigkeit der „Konsenskoalition“ bringt Instabilität in die Rathauspolitik. Auf Landes- oder Bundesebene würde man von einer Regierungs- oder Vertrauenskrise sprechen. Die daraus entstehenden Probleme müssen die Koalitionäre selber lösen, wenn sie dazu noch in der Lage sind. Handeln sie, meine Damen und Herren Koalitionäre!

Die öffentliche Diskussion wird dadurch belastet, dass in der Vergangenheit oftmals der Eindruck erweckt worden ist, dass es dem Kämmerer wenig Probleme macht, größere Mehrausgaben, wie z. B. beim Bildermuseum, quasi über Nacht zu decken. Diese Zeiten sind jedoch endgültig vorbei. Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass die Stadt Leipzig keinerlei finanzielle Reserven hat. Auch eine noch weitergehende Kreditaufnahme, als die vorgesehene, würde die Probleme lediglich in die Zukunft verlagern. Wir haben mit einem Antrag gefordert, dass die Anhebung der Hebesätze für die Gewerbesteuer und Grundsteuer B auf maximal drei Haushaltsjahre begrenzt wird. Spätestens ab 2006 sind die Hebesätze mindestens wieder auf das Niveau von 2002 zu senken. Mit den Haushaltsplanentwürfen 2004 und 2005 ist nachzuweisen, warum eine teilweise bzw. vollständige Rückführung der Hebesätze nicht möglich ist. Die Rückführung der Hebesätze ist in das mittelfristige Konzept zur Sicherstellung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Stadt, das bis zum 17. September vorzulegen ist, aufzunehmen. Die Annahme des Antrags ist für unser Stimmverhalten entscheidend.

Dieser Antrag setzt voraus, dass sich die Einnahmesituation der Stadt durch Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und die angekündigte Gemeindefinanzreform deutlich verbessert. Eingeschlossen sind die eigenen Anstrengungen zur weiteren Kostenersparnis in der Verwaltung. Das bezieht sich auch auf die Überprüfung der Investitionstätigkeit hinsichtlich der Prioritätensetzung von Investitionen.Einige Worte zum Stellenplan. Auch wenn ein Teil des Abbaus von 106 Stellen durch aufgabenkritische Untersuchungen begleitet war, wird die Folge eine weitere Einschränkung der Dienstleistungsqualität der Verwaltung sein. Davon sind Pflicht- und freiwillige Aufgaben betroffen. Bereits jetzt gibt es in mehreren Bereichen, wie in der wirtschaftlichen Sozialhilfe, erhebliche Arbeitsüberlastungen durch den Anstieg der Fallzahlen. Wir halten es für dringend geboten, in diesen und anderen Bereichen für Abhilfe zu sorgen. Dies muss mit dem Stellenplan für 2004 realisiert werden, nachdem Klarheit über die Auswirkungen der beabsichtigten Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf die Stadt Leipzig bestehen. Darauf drängen wir. Ein erster Schritt ist die auf unsere Forderung ausgesetzte Entscheidung zum Abbau von 5 Stellen im Sozialamt. Diese Stellen verbleiben im Stellenplan.

Bei der personalwirtschaftlichen Umsetzung des Stellenabbaus werden betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. So die Mitteilung der Stadtverwaltung. Das erkennen wir sehr an. Dies ist gleichfalls eine wesentliche Bedingung für unser Stimmverhalten zum Stellenplan.Ein weiterer großer Komplex sind die beabsichtigten Kürzungen bei Vereinen und Verbänden. Das ist für uns keinesfalls zu akzeptieren. Deshalb haben wir einen entsprechenden Antrag gestellt. Auch die Zustimmung zu diesem Antrag ist für unser Stimmverhalten entscheidend. Die Vereine haben in der Vergangenheit bereits wesentliche Einschnitte hinnehmen müssen. Hinzu kommt, dass die Landesmittel reduziert worden. Wir haben zur Gegenfinanzierung unseres Antrags auf Rücknahme der Kürzungen eine Reihe von Vorschlägen zur Einnahmeerhöhung bzw. Ausgabenkürzung unterbreitet, denen die Verwaltung ganz oder z. T. auch gefolgt ist.Seien Sie zum Abschluss versichert, dass die PDS-Fraktion eine an der Sache orientierte Entscheidung zum Nachtragshaushalt treffen wird.

Resümee:

Die PDS-Fraktion hat sich in der Abstimmung wie folgt verhalten:

· Änderung des Stellenplans 10 Zustimmungen, 7 Enthaltungen

· Änderung des Verwaltungshaushalts 10 Zustimmungen 7 Enthaltungen

· Änderung des Vermögenshaushalts 17 Zustimmungen

· Nachtragshaushaltssatzung 17 Zustimmungen

Damit wurde der Anhebung der Hebesätze für die Gewerbesteuer und Grundsteuer, der weiteren Kreditaufnahme, dem Abbau von 106 Stellen und den Einsparungen von Sachkosten im Verwaltungshaushalt zugestimmt. Die wesentlichen Gründe für dieses Abstimmungsverhalten sind im Redebeitrag dargestellt. Bedingung war, dass unseren Anträgen zur Begrenzung der Hebesatzanhebung auf maximal drei Jahre und zur Rücknahme der Kürzungen für Vereine und Verbände zugestimmt wurde.
Hinzu kamen die von uns geforderten Aussagen zum Stellenplan (u. a. Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen).