Ungenauigkeiten beim Sozialreport beseitigen!

Dr. Volker Külow

Seit 2004 gibt die Stadt Leipzig jährlich einen Sozialreport heraus. Mit dem Sozialreport 2023 erscheint nach offizieller Zählung der Verwaltung die nunmehr 18. Ausgabe. Er wird damit also gewissermaßen erwachsen. Das merkt man auch an seinem Umfang: Während der Sozialreport 2020 erst 39 Seiten umfasste, betrug er im letzten Jahr bereits 174 Seiten; der diesjährige Sozialreport schafft immerhin 209 Seiten. Erneut haben die insgesamt 13 Autorinnen und Autoren um Pia Lorenz und Mario Bischof eine umfangreiche und akribische Arbeit geleistet. Allen Beteiligten ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle.

Erfreulicherweise gibt es auch wieder einige Neuerungen bzw. Weiterentwicklungen, z.B. wurde die geschlechterdifferenzierende Berichterstattung im Kapitel Lebensunterhalt ausgebaut. Das ist zweifellos erfreulich. Das Kapitel Lebensunterhalt, dem wir bekanntlich immer eine besondere Aufmerksamkeit schenken, ist aber leider in diesem Jahr erneut die statistische Achillesferse des Reports. Warum? Wieder beruhen hier alle Schlussfolgerungen, insbesondere zur Einkommensarmut und Einkommensunterschieden, nur auf den Ergebnissen der Kommunalen Bürgerumfrage (KBU), was wir immer kritisch sehen, da diese einigen methodischen und statistischen Unschärfen unterliegen. Auch diesmal gibt es nach unserer Auffassung Fehlinterpretationen, die durch den Vergleich mit anderen Vorlagen der Stadtverwaltung recht schnell ins Auge springen.
Zwei Beispiele möchte ich kurz näher betrachten: Da ist zum einen die Feststellung, dass angeblich die Nettoäquivalenzeinkommen der einkommensstärksten 20 Prozent der Leipziger Bevölkerung seit 2012 bis heute nur jeweils 2,2 bis 2,4 Mal so hoch sind wie die Nettoäquivalenzeinkommen der einkommensschwächsten 20 Prozent. Im gesamtdeutschen Durchschnitt beträgt der Abstand immerhin das Vierfache.

Schaut man sich den aktuellen Quartalsbericht an, findet man auf Seite 3 eine Grafik, die den Gender Income Gap zwischen Frauen und Männern, eingeteilt nach 10 Perzentilen, aufschlüsselt und deutlich andere Relationen präsentiert. Konkret: Die einkommensschwächsten zehn Prozent der Männer in Leipzig erhalten durchschnittlich 760 Euro im Durchschnitt, die einkommensstärksten zehn Prozent verdienen durchschnittlich 3.510 Euro – also fast das Fünffache. Betrachtet man diese Werte und auch die jeweils nächsten beiden Perzentile genauer, wird deutlich, dass Leipzig in Wahrheit beim Abstand zwischen den besagten 20 Prozent Einkommensärmsten und Einkommensreichsten nahe am Bundeswert von ca. 4,3 liegt. In den betreffenden Abschnitten des Sozialreports wurde sich nach unserer Auffassung bei der Berechnung des Einkommens-Verhältnisses S80/S20, bei dem gemäß OECD die Gesamteinkommensanteile des jeweils einkommensstärksten und des einkommensschwächsten Fünftels ins Verhältnis gesetzt werden müssen, methodisch vertan. Seit Jahren werden fälschlich die Werte von 80 Prozent und 20 Prozent unmittelbar ins Verhältnis gesetzt, was zu der irreführenden Zahl von ca. 2,3 geführt hat, da die wirklich großen Einkommen oberhalb des 90%-Quantils oder gar des 95%-Quantils ganz unberücksichtigt geblieben sind. Analoges gilt umgekehrt für das unteres Ende der Einkommensverteilung. Es ist frappierend, dass niemandem in der Verwaltung diese methodische Unzulänglichkeit bisher auffallen wollte. Unsere Schlussfolgerung: Wir brauchen in Leipzig dringend eine seriöse Einkommens-verteilungsanalyse. Ich weiss, dass die Verwaltung das intern auch so sieht und dazu bereit ist, wenn ihr die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Das wiederum ist die Aufgabe des Stadtrates und dieser Verantwortung sollten wir uns in nächster Zeit stellen.

Nur noch en passant erwähnen will ich die überraschende Tatsache, dass im Sozialreport das Wort Inflation kein einziges Mal auftaucht und der Sachverhalt daher nur sehr bedingt in die Statistiken einfließt. Das führt teilweise zu verzerrten Grafiken und entsprechenden Fehldeutungen. Wie es besser geht, zeigt die Stadtverwaltung selbst mit dem vor einigen Tagen veröffentlichten Ergebnisbericht der Kommunalen Bürgerumfrage 2022. Nur ein Beispiel auf Seite 42 mag genügen: Bei Berücksichtigung der Leipzig-spezifischen Teuerung haben Arbeitslose im Jahr 2022 ein um fünf Prozent geringeres Einkommen als noch 2012. Solche Informationen gehören u.E. auch in den Sozialreport.  

Ich komme zum Schluss: Wir haben die soeben aufgeführten Kritikpunkte im zuständigen Fachausschuss am Montag vorgetragen und freuen uns jetzt auf einen fruchtbaren Dialog mit der Verwaltung, damit in den nächsten Ausgaben des Sozialreports die gravierende soziale Spaltung der Leipzig Stadtgesellschaft realistischer abgebildet wird als bisher.