Sozialreport 2020: Arm und Reich – Unterschiede wachsen

Volker Külow

Vor uns liegt der 15. Sozialreport seit 2004. Auf 139 Seiten werden wieder umfängliche Daten zu verschiedenen Entwicklungen in den Bereichen Bevölkerung, Wohnen, Lebensunterhalt, Familie, Jugend und Bildung, Menschen mit Behinderung, Seniorinnen und Senioren, Gesundheit, sowie ehrenamtliches Engagement präsentiert. Daher gilt zunächst unser großer Dank dem 13-köpfigen Team der Autorinnen und Autoren um Björn Uhrig und Pia Lorenz.  

Wir bewerten den Sozialreport 2020 im Kontext der Kommunalen Bürgerumfrage 2019, dem Quartalsbericht III/2020 und dem Statistischen Jahrbuch 2020, dessen 50. Ausgabe bekanntlich auch die Daten von 2019 präsentiert. Ich will nur auf einige Kernaussagen kurz eingehen und mich dabei der Schützenhilfe der LVZ bedienen. Das führende Lokalblatt überschrieb am 22. Januar 2021 seinen Bericht über den Sozialreport 2020 und andere statistische Papiere der Stadtverwaltung mit der deutlichen Botschaft: „Arm und Reich – Unterschiede wachsen“.   

In der Tat: wie die vorliegenden Zahlen unstrittig belegen, vertieft sich trotz der verbesserten Wirtschaftssituation in Leipzig die von uns immer wieder beklagte soziale Spaltung der Stadtgesellschaft. Bei den Nettoeinkommen vergrößert sich die Schere zwischen arm und reich; der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern erhöht sich. Und weiterhin stellt nur die Hälfte der potenziell Leistungsberechtigten für Bildung und Teilhabe entsprechende Anträge. 

 

Es gibt auch einige andere Dämpfer im vorliegenden Sozialreport: das Bevölkerungswachstum ist das Geringste seit 2010; im zweiten Jahr in Folge sinkt die Geburtenzahl.

Ein positives, weil innovatives Moment will ich allerdings auch hervorheben: den Segregationsindex, S. 51/52. Er ist leider nicht explizit im Inhaltsverzeichnis genannt. Hierbei handelt es sich im besten Soziologendeutsch um ein sogenanntes Konzentrationsmaß zur Messung einer Ungleichverteilung und zur Identifizierung einer räumlichen Konzentration bestimmter Merkmale. Dieser Index zeigt, dass eine Ungleichverteilung von Empfänger*innen von Leistungen nach dem SGB II über das gesamte Stadtgebiet im Zeitraum 2013 bis 2019 zugenommen hat. Bei Kindern unter 15 Jahren ist er besonders gestiegen; hier beträgt der Segregationsindex fast 40, d.h. 40 Prozent der armen Kinder müssten umziehen, um eine Gleichverteilung in der Stadt zu erreichen, bei Erwachsenen beträgt die Zahl ca. 30 Prozent. Kinder sind von Segregation also stärker betroffen als Erwachsene.

Die Werte der Segregationsindizes sind für uns der Nachweis, dass Verdrängung durch den Wohnungsmarkt real stattfindet - Gentrifizierung und Segregation bilden ein unheilvolles Gespann in unserer Stadt. Es steht zu befürchten, dass sich durch die Coronapandemie diese negativen Tendenzen im Jahr 2020 verstärkt haben und vermutlich 2021 weiter verstärken; das wird dann der Sozialreport 2021 zeigen.   

Apropos Sozialreport 2021: Mit einem Blick voraus möchte ich einige kritische Anmerkungen zu den methodischen Grundlagen des Sozialreports wiederholen, wie wir sie schon im letzten Jahr darlegten. Im Sozialreport werden erneut kaum Handlungsfelder und Maßnahmen für die künftige Tätigkeit der Verwaltung ausgewiesen. Es gibt auch keine Querverweise zu entsprechenden Handlungskonzepten und Initiativen der Stadt Leipzig an anderer Stelle. Kurz: man spürt auch im Sozialreport 2020 wieder nur sehr bedingt den Gestaltungswillen des federführenden Sozialdezernats. 

Von einer Sozialberichterstattung auf der Höhe der Zeit, die als Frühwarnsystem wirklich funktioniert, erwarten wir mehr Impulse und Lösungsansätze, damit sich die Kommunalpolitik den großen sozialpolitischen Herausforderungen gerade angesichts der sozialen Folgen der Coronakrise möglichst offensiv stellen kann. Leipzig muss nach unserer festen Überzeugung den Sprung vom Sozialreport zum Sozialbericht wagen. Dieser integrative Sozialbericht sollte künftig eine Klammer bilden zwischen den bereits bestehenden und noch zu entwickelnden Fachplanungen der Stadt Leipzig. Wenn es der Verwaltung für diesen kühnen Schritt an Mut gebricht, sollte der Stadtrat mit einer entsprechenden Beschlussfassung aktiv werden.