Selbsthilfe für Menschen mit Ess-Störungen erfolgreich organisieren

Dr. Volker Külow

Das Beratungszentrum Ess-Störungen Leipzig (kurz BEL) wurde im Jahr 2012 auf ehrenamtlicher Grundlage gegründet und ist das einzige speziell auf die Problematik Ess-Störungen ausgerichtete Beratungszentrum nicht nur in Sachsen, sondern sogar in ganz Mitteldeutschland. Sicher wissen Sie, dass Ess-Störungen psychosomatische Erkrankungen mit Suchtcharakter sind und das dazu Anorexie, Bulimie und Binge Eating Disorder (der Volksmund spricht von „Fressattacken“) zählen. Sie verursachen bei den Betroffenen enormen Leidensdruck auf körperlicher und psychischer Ebene, der sich in verstärktem Konfliktpotenzial innerhalb des sozialen Umfeldes, der betroffenen Familiensysteme und Freundeskreise und nicht zuletzt in hohen gesamtgesellschaftlichen Kosten für das Gesundheitswesen widerspiegelt.      

Die Dimension des Problems ist erschreckend, die vorliegenden Zahlen sprechen eine klare Sprache: Aktuell werden 22 Prozent der 11-17jährigen als auffällig eingestuft. Das bedeutet, dass mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland Symptome einer Ess-Störung aufweist, hochgerechnet also rund 1,4 Millionen Kinder und Jugendliche. Etwa fünf Prozent der Betroffenen von Anorexie begehen Suizid bzw. sterben an den Folgen der Ess-Störung. Damit ist Magersucht eine der psychischen Erkrankungen mit der höchsten Mortalität und gilt als die gefährlichste psychiatrische Erkrankung des Kindes- und Jugendalters. Die Weltgesundheitsorganisation misst Ess-Störungen zu Recht hohe Priorität zu.

Damit komme ich zum BEL. Nach einem ehrenamtlichen Betrieb über fünf Jahre ermöglichte die AOK Plus seit Mai 2017 eine dreijährige Vollfinanzierung des Beratungszentrums in Trägerschaft der Suchtzentrum Leipzig gGmbH. In diesem Zeitraum entwickelte sich ein multiprofessionelles, interdisziplinäres und fachübergreifendes Team aus insgesamt sechs Beraterinnen und Beratern, die über drei Vollzeitäquivalente verfügen. Das BEL wurde in dieser Zeit mit seinen niedrigschwelligen Angeboten für fast 1.000 Betroffene und deren Angehörige sowie für ratsuchende Fachkräfte aus anderen Einrichtungen erste Anlaufstelle. Es bildete sich darüber hinaus ein umfangreiches Netzwerk aus Selbsthilfegruppen, Ärzten, Therapeuten und alternativen Hilfsangeboten. Neben dieser Netzwerkarbeit, der Beratung, der Selbsthilfe und Gruppenarbeit spielt natürlich auch die Prävention und Multiplikatorenschulung eine wichtige Rolle. Dazu zählen Informationsveranstaltungen, Workshops und Seminare beispielsweise für Studierende im Lehramt, für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Jugendämtern oder Schulsoziarbeiterinnen und -arbeiter. Auch wurde das Modul „begleitete Mahlzeiten“ entwickelt, bei dem die Teilnehmer die Möglichkeit haben, sich in vertrauter Atmosphäre und an einem geschützten Ort wieder an ein unbefangenes Essverhalten zu wagen.   

Neben dem großen Auftrag, Selbsthilfe für Menschen mit Ess-Störungen erfolgreich zu organisieren und zu fördern, wurde das Thema Ess-Störungen öffentlichkeitswirksam in der psychosozialen Versorgungslandschaft Leipzigs und Sachsens integriert. Die letztere Funktion ist angesichts eines bis heute fehlenden Landessuchthilfeplanes besonders wichtig.

Daher haben wir den Antrag gestellt, dass der Oberbürgermeister beauftragt wird, sich für eine Aufnahme des BEL in den Doppelhaushalt des Landes 2021/2022 einzusetzen. Damit sollen die überregionalen BEL-Angebote für Beratung, Gruppenarbeit und Prävention erhalten bleiben. Die ersten Kontakte des Trägers mit dem zuständigen Staatsministerium für Soziales laufen bereits und nicht nur wir hoffen sehr, dass unter der Ägide von Ministerin Petra Köpping ab 2021 die Zukunft des BEL gesichert ist. Der Koalitionsvertrag von CDU, SPD und Grünen bietet dafür inhaltliche Grundlagen, ich denke insbesondere an den Unterabschnitt Drogen/Suchthilfe im Kapitel Soziales auf Seite 96.   

Bis dahin muss das BEL aber noch eine gefährliche Durststrecke überwinden, denn das von der AOK plus im Rahmen der Schwerpunktförderung  der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe finanzierte Projekt läuft am 31. März nach drei Jahren aus. Der geänderte Paragraf 20h des SGB V gestattet leider keine direkte Verlängerung, es müssen neue Wege gegangen werden. Deshalb beantragen wir im zweiten Punkt, dass die Stadtverwaltung die derzeitigen Kooperationsgespräche der Suchtzentrum Leipzig gGmbH mit der AOK plus mit dem Ziel unterstützt, eine Weiterführung des Projektes sowie die Sicherung der Räumlichkeiten in der Antonienstrasse 15 bis Ende 2020 zu ermöglichen; wir reden hier über einen Betrag von ca. 150.000 Euro.

Da die Verwaltung erfreulicherweise unsere beiden Beschlusspunkte grundsätzlich übernommen hat, stellen wir den Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung. Wir wissen im Falle der Zustimmung natürlich sehr wohl, dass damit das BEL keinesfalls schon gesichert ist. Im Hölderlinjahr möchte ich daher zum Schluss meiner Rede hoffnungsvoll seinen berühmtesten Vers zitieren: „Wo aber Gefahr ist, wächst Das Rettende auch.“         

Rede zum Antrag der Fraktion DIE LINKE A 08061 "Beratungszentrum Ess-Störungen Leipzig (BEL) erhalten"