Opfer der Hexenverfolgung rehabilitieren

Werner Kujat

Entgegen der landläufigen – oder in unserem Falle: städtischen – Meinung ist die Hexenverfolgung nicht die ferne Geschichte aus dem Mittelalter, in der Kräuterweiber im Wald Halluzinogene nahmen und von voraufklärerischen Bauern des Teufelsbundes bezichtigt wurden.
Tatsächlich ist die Hexenverfolgung ein Phänomen der Neuzeit. Die Hexenprozesse fanden hauptsächlich zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert statt. Es war eine Gesellschaft geprägt von Hungersnöten, Massensterben, religiösen Konflikten, häretischen Bewegungen und Etablierung des Protestantismus. Besonders während des Dreißigjährigen Krieges kam es vermehrt zu Hexenprozessen. Hysterien wurden zu regelrechten Volksbewegungen, befeuert durch hetzerische Predigten und einen neuen Hexenglauben.Täter waren Nachbarn, Familienmitglieder, Katholiken, Protestanten, einige besonders fromme Fanatiker.

Neben Antipathie, Missgunst und Streitigkeiten ist die materialistische Erklärung der Denunziationen ebenso bedeutend: Die Denunzianten wurde anteilsmäßig am zu verteilenden Besitz des Opfers beteiligt.

In den Städten kam es zum Machtkampf zwischen den Eliten. Stadträte und Bürgermeister wurden der Hexerei bezichtigt. Ich erinnere an Bamberg, wo innerhalb von 4 Jahren der gesamte Stadtrat verbrannt wurde – das ist gar nicht so weit weg von hier.

„Unschuldig bin ich in das Gefängnis gekommen, unschuldig bin ich gemartert worden, unschuldig muss ich sterben“, so der Bamberger Bürgermeister 1628.

Bekannt ist die Grausamkeit der spanischen Inquisition, gegründet im 15. Jahrhundert. Doch selbst diese lehnte die Hexenverfolgung ausdrücklich ab. Im 16. Jahrhundert leitete Rom wiederholt Schritte gegen Hexenverfolgungen ein.

Trotz der Zurückhaltung bei Hexen darf man die römisch-katholische Kirche nicht zu sehr in Schutz nehmen: Ketzer und Juden wurden gnadenlos verfolgt, mit dem Ziel der Zwangsbekehrung. Doch es waren staatliche Gerichte, die die Hexenverfolgung verantworteten. Womit wir zum Hexenhammer von 1486 kommen: Malleus Maleficarum. Das 700seitige Werk in drei Bänden basiert auf Fanatismus, Antijudaismus und Misogynie. Es legitimiert die Hexenverfolgung und dient als Anleitung zur Überführung und Verurteilung von vermeintlichen Hexen. Verhör, Folter, Wasserprobe, Scheiterhaufen, Vierteilen – ein Handbuch für kommende Generationen von Hexenjägern.

Die Auswirkung auf die Rechtspraxis war enorm – und zwar über Jahrhunderte. Bis 1669 wird der Hexenhammer insgesamt 29 Mal aufgelegt. Auch in den Hexenprozessen von Salem fand er Anwendung. Der Hexenhammer war den Puritanern Neuenglands ein willkommenes Werkzeug. Doch wir wollen uns mit der lokalen Geschichte auseinander setzen. In Leipzig lieben viele ihren Martin Luther – ich hege da nach wie vor Zurückhaltung. Der Reformator glaubte an den Pakt mit dem Teufel und an Magie. Lassen Sie mich aus einer Predigt von 1526 zitieren: „Die Zauberinnen sollen getötet werden, weil sie Diebe sind, Ehebrecher, Räuber, Mörder. […] Sie schaden mannigfaltig. Also sollen sie getötet werden, nicht allein weil sie schaden, sondern auch, weil sie Umgang mit dem Satan haben.“

Die kirchliche Misogynie, im Hexenhammer wie bei Luther, war verheerend: Frauen galten als „leichtes Einfallstor“ für den Teufel und in 80 % aller Fälle war das Opfer der Verfolgung eine Frau.

Zurück zu Leipzig:
Hier wurden bis 1730 nachweisbar 30 Hexenprozesse veranstaltet. 83 Todesurteile wurden in Leipzig rechtskräftig gefällt – im Sinne des Hexenhammers. Es ist davon auszugehen, dass wir die tatsächliche Zahl der Verurteilungen nie erfahren. Oft wurden Unterlagen nicht aufgehoben. Nachweisbar sind nur die wenigsten. Im Gedenken und im Sinne der symbolischen Rehabilitation danke ich den Antragstellerinnen, dem Arbeitskreis Aufarbeitung Hexenverfolgung und dem Gleichstellungsbeirat, für den Antrag.
Lassen Sie uns aber nicht die Motivation der Täter vergessen: Neid, Gier, Hass, Fanatismus, Misogynie – Es sind auch heute noch gesellschaftliche Phänomene, denen wir uns als DemokratInnen und HumanistInnen entgegenstellen müssen.

Redebeitrag zum Antrag des Beirates für Gleichstellung 6461"Opfer der Hexenverfolgung rehabilitieren"