Die Zahl der Familien mit einer psychischen und/oder Suchterkrankung steigt seit Jahren kontinuierlich an

Dr. Volker Külow

Der vorliegende Antrag ist eine Neufassung von nunmehr drei Fraktionen mit einer präzisierten Überschrift gegenüber dem Ursprungsantrag. Linke, Grüne und SPD greifen gemeinsam ein wichtiges gesellschaftliches Problem auf. Die Zahl der Familien mit einer psychischen und/oder Suchterkrankung steigt seit Jahren kontinuierlich an. Corona war noch ein diesbezüglicher Brandbeschleuniger: Alle wissenschaftlichen Studien stellten eine erhöhte psychische Belastung insbesondere von Kindern und Jugendlichen während der Pandemie fest und zeigen auf, dass sich auch drei Jahre nach Beginn von Covid deutliche Hinweise auf anhaltenden psychosomatischen Stress zeigen. In allen Studien wurden zugleich soziale Benachteiligung, geringer Bildungsstand und psychische Belastung der Eltern sowie Migrationshintergrund als Risikofaktoren für einen schlechteren psychischen Gesundheitszustand benannt. Die gemeinsame Corona-KITA-Studie des Deutschen Instituts für Jugend und des Robert Koch Instituts von Anfang 2023 ermittelte erheblich gestiegene Förderbedarfe in den Bereichen Sprache, Motorik und sozial-emotionale Entwicklung; zwischen 40 Prozent bei hohem Anteil sozial benachteiligter Familien und 20 Prozent bei geringem Anteil aus sozial benachteiligten Familien.

Die betroffenen Familien haben oftmals hochkomplexe Bedarfslagen und müssen sich gleichzeitig mit unterschiedlichen Leistungssystemen auseinandersetzen, deren Zugänge ihnen an vielen Stellen intransparent erscheinen. Manch einer scheitert daran, wie der Bewohner vom Lande in Kafkas berühmter Parabel „Vor dem Gesetz“. 

Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt durchaus leistungsstarke Angebote und Strukturen in Leipzig, die sehr solide Arbeit leisten. Es mangelt allerdings an gründlicher Systematik und präziser Steuerung in diesem Bereich – und das nicht nur bei den fachbehördenübergreifenden Leit- und Fachkonzepten. Das führt in vielen Fällen konkret dazu, dass die Suche und der Zugang zu Unterstützung und Begleitung für diese Familien eine kaum zu bewältigende Herausforderung darstellt. Neudeutsch würden wir sagen: Es fehlt an einem one-stop-government, einer barrierearmen Anlaufstelle. Oftmals kommt es dann, wenn Hilfen nicht erkannt oder zu spät in Anspruch genommen werden, zu Inobhutnahmen der Kinder und Jugendlichen im elterlichen Haushalt, welche die betroffenen Familien in eine weitere Krise stürzen. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden. Es muss das erklärte Ziel der Stadtpolitik sein, eine Vernetzung bzw. Verzahnung und damit eine Überwindung der Versäulung von SGB-Leistungen zu ermöglichen, um den betroffenen Familien die Hilfe zu geben, die sie benötigen.

Insofern begrüßen wir den Verwaltungsstandpunkt zur Erstfassung des Antrages, der Handlungsbedarf einräumte und Handlungsbereitschaft signalisierte. Er ging uns aber nicht weit genug; deshalb legten dann drei Fraktionen eine gemeinsame Neufassung des Antrages vor. In ihr wurden die drei Punkte des Verwaltungsstandpunktes übernommen, aber noch ein wichtiger vierter Punkt hinzugefügt: die Einrichtung eines Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes ab 1. Januar 2025. Angeschlossen am Verbund Gemeindenahe Psychiatrie des Klinikums St. Georg sollen Kinder und Jugendliche mit komplexen Hilfe- und ggf. Behandlungsbedarf versorgt werden, analog der Aufgaben des Sozialpsychiatrischen Dienstes im Erwachsenbereich.

Man muss in diesem Kontext wissen, dass bei jungen Menschen unter 18 Jahren der ASD (neben den Erziehungsberechtigten) die Hauptverantwortung hat, wenn es um seelische Belastungen geht. Dieser Dienst ist aber kein psychiatrischer Fachdienst, der sich in den Angelegenheiten Kinder- und Jugendpsychiatrie auskennt und auch vermitteln kann. Und wenn wir ganz ehrlich sind, sehr geehrte Frau Münch und Frau Felthaus, würden Sie diesen Fachdienst aus fachlicher Sicht auch nicht ablehnen, da Sie um die dringende Notwendigkeit wissen und alleinig der haushalterische Aspekt hier im Vordergrund steht. Daher nehmen wir es aus kommunalpolitischer Sicht in die Hand. Wir wissen, dass insbesondere Sie beide um den Aufbau kommunaler Strukturen und Formate sehr bemüht waren und sind.

Durch zahlreiche Fachgespräche – darunter mit der zuständigen Unterarbeitsgruppe des Beirates für Psychiatrie und psychosoziale Versorgung – wissen wir, dass die aktuelle Versorgungssituation im Bereich der Kinder und Jugendpsychiatrie angespannt ist. Dies betrifft sowohl die Krankenhaus-Kinder- und Jugendpsychiatrie, die ein erhöhtes Aufnahmeaufkommen zu bewältigen hat, als auch die niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater der Stadt Leipzig, bei denen in Bezug auf Kinder und Jugendliche mit seelischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten inzwischen Wartelisten geführt werden müssen, da notwendige Facharzt-Termine nicht zeitnah vergeben werden können.

Um dieses Manko und auch andere Defizite zu beheben, stellen wir heute unseren Antrag und bitten um Zustimmung.