Corona ist nicht demokratisch. LINKE gegen Zwei-Masken-Gesellschaft in Leipzig

Volker Külow

Ich möchte meine Rede mit einer durchaus naheliegenden Frage beginnen: Was hat der am letzten Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedete 6. Armuts- und Reichtumsbericht mit unserem heutigen Antrag zu tun? Der Bericht ist zwar wie seine fünf Vorläufer erneut in mancher Hinsicht geschönt und wurde gegenüber dem ursprünglichen Entwurf deutlich entschärft. Er kommt aber trotzdem zu einigen klaren Feststellungen: Die viel beklagte Schere zwischen Arm und Reich wird in der Bundesrepublik immer größer und verfestigt sich deutlich. Mit der Spaltung der Gesellschaft nehmen auch die Abstiegsängste und –kämpfe zu. Absehbar ist darüber hinaus, dass vulnerable und benachteiligte Personengruppen von den negativen Auswirkungen der Pandemie in besonderer Weise betroffen sind: die Alleinerziehende mit zwei Kindern in Hartz IV, die Migrantin, die keine Chance zur dualen Ausbildung erhält, der Solo-Selbstständige, der seine Existenz durch Corona verlor…  Armut ist sehr heterogen und hat in der Pandemie noch einmal mehr ihr hässliches Gesicht gezeigt.          

Das Virus ist keinesfalls demokratisch. Es trifft auf eine Klassengesellschaft, die in unserem Land existiert, auch wenn das von den politisch Herrschenden zumeist beschwiegen wird. Diese Tatsache ist aber inzwischen so offenkundig, dass selbst die WELT am Sonntag und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ausführlich darüber berichtet haben. „Corona trifft gerade Arme“ titelte die FAS am 9. Mai und berichtete unter Bezugnahme auf Statistiken des Robert-Koch-Instituts, dass Covid-19 für Arme viel gefährlicher als der Durchschnitt ist; auf dem Höhepunkt der zweiten Welle lag die Sterblichkeit in benachteiligen Gebieten um bis zu 70 Prozent höher als anderswo.

Der Medizinsoziologe Nico Dragano hat ausgerechnet, dass Hartz-IV-Beziehende ein 84 Prozent höheres Risiko aufweisen, mit einem schweren Coronaverlauf im Krankenhaus behandelt zu werden, als Menschen in einem regulären Beschäftigungsverhältnis. Unterm Strich ist festzustellen: Arme Menschen mit geringem sozioökonomischem Status, die in engen Wohnungen leben und keine ausreichenden finanziellen Möglichkeiten für besseren Gesundheitsschutz wie zusätzliche Masken, Desinfektionsmittel und Schnelltests haben, sind von der Krise härter betroffen als die Bevölkerungsmehrheit. Corona verschärft soziale Problemlagen gerade dort, wo zuvor bereits soziale Härten den Alltag bestimmten.  

Das ist natürlich auch in Leipzig der Fall, wo die soziale Spaltung sich ebenfalls in der Coronakrise vertieft hat. Oder um es mit Frau Dr. Andrea Schultz, der Abteilungsleiterin für Stadtforschung im Amt für Statistik und Wahlen, zu sagen: „Es kann vermutet werden, dass in weiten Teilen der Stadtgesellschaft keine Reserven für eine wirtschaftliche Krise vorhanden sind.“ In diesem Kontext ist unser Antrag „Keine Zwei-Maskengesellschaft in Leipzig“ zu verstehen. Mit der Initiative geht es darum, einkommensarmen Bevölkerungsgruppen zusätzlich fünf Masken zur Verfügung zu stellen; diese Ausgabe soll haushaltsneutral erfolgen, da die Kosten über die Landes- und Bundesebene getragen werden sollen.            

Wir bedauern sehr, dass es der Verwaltung an Mut und Wille fehlt, unserem Antrag zu folgen. In ihrer Ablehnung argumentiert sie rein rechtlich und verweist lediglich auf die bisherigen gesetzlichen Regelungen, die angeblich ausreichen würden. Leider wird mit keinem Wort auf die prekäre Situation der Betroffenen eingegangen, wie ich sie eingangs geschildert habe. Mit keinem Wort wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. März 2021 erwähnt, dass den Einmalzuschuss von 150 Euro für sechs Monate als zu gering und verfassungswidrig einschätzte. Das Gericht bestätigte mit diesem Urteil im Übrigen das zivilgesellschaftliche Bündnis von rund 40 Verbänden und Gewerkschaften, das am 25. Januar 2021 mit seinem Aufruf „Soforthilfen für die Armen – jetzt! Solidarisch für sozialen Zusammenhalt und gegen die Krise“ an die bundesweite Öffentlichkeit trat. Diesen Appell kann übrigens jede Stadträtin und jeder Stadtrat gern digital unterschreiben. 

Last but not least geht die Verwaltung leider auch nicht darauf ein, dass ein vom Gesetzgeber bisher zugestandenes Kontingent von 15 bzw. 10 kostenlosen Masken keinesfalls ausreicht. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich auf die Festsstellung des RKI verweisen, dass „FFP2-Masken grundsätzlich nicht mehrfach verwendet werden (sollten), da es sich i.d.R. um Einmalprodukte handelt.“          

Angesichts des bisher Gesagten betone ich nochmals unseren Standpunkt, dass Menschen mit geringem oder keinem Einkommen in der Pandemie gleichberechtigten Zugang zu Hygieneartikeln – vor allem Masken – erhalten müssen. Wir stehen dafür als Kommune und speziell als Stadtrat in einer besonderen Verantwortung. Der unbedingte Wille, ein klares Zeichen praktizierter Solidarität zu setzen und nachhaltig wirksame und angemessene Lehren aus der Pandemie zu ziehen, muss in einer Stadt mit derart geballten sozialen Problemlagen, wie sie Leipzig belasten, klar erkennbar sein und praktische Wirkung  bei den Betroffenen entfalten. Ich appelliere deshalb an das Solidaritätsempfinden und das Verantwortungsgefühl an Sie als Stadträtinnen und Stadträte, dass wir heute nicht etwa über die Verteilung von Luxusgütern für wenige abstimmen, sondern über eine spürbare Unterstützung für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, denen es nicht so gut geht.