VII-A-09090 Umsetzung der Istanbul-Konvention in Leipzig - Gewaltschutz bedarfsgerecht ausbauen und aktive Prävention von Femiziden stärken

Fraktion DIE LINKE

Beschlussvorschlag:

Um den Gewaltschutz in Leipzig langfristig und bedarfsgerecht auszubauen und damit die aktive Verhinderung von Femiziden zu stärken, beschließt der Stadtrat:

1. Die Erweiterung der personellen und räumlichen Kapazitäten der Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (KIS) Leipzig zum 1. Januar 2024 in den Bereichen: Erwachsenenberatung, Kinder- und Jugendberatung, Netzwerkkoordination, Teamassistenz, Verwaltung, Projektkoordination. Die Finanzierung zusätzlicher Räumlichkeiten und die Möglichkeit des Zugriffs auf das SprInt-Budget für freie Träger der Stadt Leipzig, falls Sachmittel über die Förderrichtlinie zur Förderung der Chancengleichheit nicht ausreichen, sind für Bedarfe an Sprachmittlung ebenso zu erweitern.

2. Die Zentrale Sofortaufnahme der Frauen*- und Kinderschutzeinrichtungen (F*KSE) wird ab 1. Januar 2024 in der Sozialarbeit aufgestockt, um die (nach dem Umzug) unverzichtbare Doppelbesetzung der Tagschicht von 8 bis 20 Uhr an den fünf Wochentagen und von sechs Stunden am Samstag zu gewährleisten. Darüber hinaus wird Personal im Bereich der Kinder- und Jugendfachkraft sowie der Erzieherin aufgestockt. Um den hohen Verwaltungsaufwand des Projektes bewerkstelligen zu können, erhält die Zentrale Sofortaufnahme darüber hinaus eine Aufstockung der Verwaltungsstelle.

3. Nutzer*innen und Hauptamtliche von Frauenhäusern und gewaltschutzbezogenen Einrichtungen brauchen professionelle Unterstützung beim Finden von sicheren Wohnungen. Dafür sind Mitarbeiter*innen der LWB und zivilgesellschaftliche Wohnraumspezialist*innen einzubinden.

4. Der Oberbürgermeister wird aufgefordert, sich gegenüber der sächsischen Staatsregierung dafür einzusetzen, dass die in der Richtlinie zur Förderung der Chancengleichheit enthaltenen Förderhöchstbeträge je Einrichtung aufgehoben werden (siehe

https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/19267-Richtlinie-zur-Foerderung-der-Chancengleichheit#gbstB , B. Besondere Bestimmungen, II., 1.1.5 c) aa) Art und Umfang der Förderung).5. Der Oberbürgermeister wird aufgefordert, sich in seiner Funktion als Vizepräsident des Deutschen Städtetages gegenüber der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt endlich von einer freiwilligen Ausgabe zu einer kommunalen Pflichtaufgabe überführt und entsprechend aus Bundesmitteln mitfinanziert wird.

 

Begründung:

Anlässlich der Stadtratssitzung am 5. Juli wandten sich am 3. Juli 2023 zahlreiche Organisationen (darunter das Netzwerk gegen Häusliche Gewalt und Stalking Leipzig, die Zentrale Sofortaufnahme der Frauen*schutzhäuser Leipzig, das 4. Frauen*- und Kinderschutzhaus Leipzig sowie die Koordinierungs- und Interventionsstelle (KIS) gegen häusliche Gewalt Leipzig, Frauen für Frauen e.V) mit einem Offenen Brief zur Krisensituation im Gewaltschutz in Leipzig an die Stadträtinnen und Stadträte sowie an politische Entscheidungsträgerinnen und -träger im Freistaat Sachsen.

In dem Anschreiben wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Stadt Leipzig ihren Verpflichtungen bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention und dem Schutz vor häuslicher Gewalt „aktuell nur begrenzt gerecht“ werde: „Und dass trotz vieler Hinweise auf den Ernst der Lage. Die Stadt Leipzig und die sächsische Staatsregierung kennen die Problemlage seit mindestens einem Jahr. Nach Einschätzung der Briefunterzeichnerinnen und -unterzeichner ist „das gesamte Gewaltschutznetz in Leipzig (…) systematisch überlastet. Besonders betroffen sind die Zentrale Sofortaufnahme der Frauen*häuser Leipzig und die Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (KIS).“

Folgende Zahlen werden zur Untersetzung u.a. angeführt:

•  Die Zahl der polizeilichen Mitteilungen nach Einsätzen zu häuslicher Gewalt an die KIS hat sich seit 2021 mehr als verdreifacht. Die personellen Kapazitäten der KIS sind nicht annähernd in diesem Umfang gestiegen.

•  In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden 55 Menschen von der Polizei oder der KIS mit dem Merkmal „Hochrisiko“ versehen. Dies bedeutet, die akute Gefahr einer schweren Verletzung oder Tötung (Femizid) stand im Raum.

•  Die KIS konnte im ersten Halbjahr 2023 242 Hilfesuchende, die über die Polizei gemeldet wurden und 259 Betroffene, die sich selbst an die KIS gewandt haben, nicht beraten.

•  Für das Jahr 2022 wurden allein in der Zentralen Sofortaufnahme 248 Abweisungen mit 315 Kindern dokumentiert. Die Perspektive sieht düster aus: allein im ersten Halbjahr 2023 gab es bereits 168 abgewiesene Frauen und 152 abgewiesene Kinder (Stand 26. Juni 2023). Prognostisch bedeutet das, dass bis Ende dieses Jahres bis zu 1.000 Personen, die von Gewalt betroffen sind und Beratung wünschen, ohne Beratung und Unterstützung bleiben werden.

•  Der Bedarf an Schutzplätzen ist weiterhin nicht gedeckt. In Leipzig fehlen neun weitere Plätze in Schutzeinrichtungen, um allein die Mindestanforderungen der Istanbul-Konvention zu erfüllen.

Nach der Nennung kommen die Autorinnen und Autoren zu dem Schluss: „Die aktuelle prekäre Lage stellt ein großes Sicherheitsrisiko für von Gewalt betroffene Menschen dar und hat vielfältige schwerwiegende Folgen auch für die Zivilgesellschaft in Leipzig.“

Die Istanbul-Konvention und die Europäische Charta für Gleichstellung basieren auf der einfachen Erkenntnis: Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem und deswegen ist Gewaltschutz eine gesellschaftliche Aufgabe. Wirksame Prävention und gute Unterstützung dürfen kein individueller Zufall sein, sondern müssen institutionell abgesichert werden. Unser Ziel muss es daher sein, dass alle Betroffenen in Leipzig Schutz und Beratung bekommen. Es ist die gemeinsame politische Verantwortung von Stadt, Land und Bund sicherzustellen, dass dieses Ziel erreicht wird.