VII-A-09041 Faire Ausbildung und Arbeit für Menschen mit Migrationsgeschichte: Diskriminierung abbauen, Zugänge ermöglichen

Fraktion DIE LINKE

Beschlussvorschlag:

  1. Die Stadtverwaltung wird aufgefordert, im Zusammenwirken zwischen Fachkräfteallianz, Akteur*innen der Migrations- und Integrationsarbeit, Gewerkschaften und Freistaat Sachsen Maßnahmen für bessere Bildungs-, Ausbildungs- und Beschäftigungszugänge und gegen die Diskriminierung von erwerbstätigen Migrant*innen in Leipzig zu ergreifen. Dazu sollen u.a. gehören:
  • Erfassung und Bündelung der Informationen über Beratungs- und Empowermentmöglichkeiten für Auszubildende und Beschäftigte mit Migrationsgeschichte und gezielte Öffentlichkeitsarbeit über diese Angebote,
  • verstärkte Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit für die formellen Rechte von Auszubildenden und Beschäftigten mit Migrationsgeschichte in verschiedenen Sprachen und deren Verbreitung in Berufsschule, Ausbildungsstätten und Unternehmen durch Stadt und Gewerkschaften,
  • Prüfung der Möglichkeit, die städtische Vergabe von Aufträgen an das Vorhandensein einer Betriebs- und Dienstvereinbarung zu Chancengleichheit von Menschen mit Migrationsgeschichte zu knüpfen.

    2. Die Stadt Leipzig konzipiert ein Modellprojekt „Spurwechsel“, das sich an in Leipzig lebende langjährig geduldete Geflüchtete richtet, die auf absehbare Zeit nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können. Die Initiative soll die sprachliche Qualifizierung und sozialpädagogische Unterstützung als auch die Unterstützung von Wegen in Ausbildung, Arbeit und einen gesicherten Aufenthalt umfassen. Der konzeptionelle Umriss für das Projekt wird dem Stadtrat bis zum 31.12.2023 vorgelegt und parallel der Freistaat Sachsen um Mitwirkung und Finanzierung ersucht.

 

Begründung:

Derzeit wird bundesweit über die Zuwanderung von ausländischen Arbeits- und Fachkräften diskutiert, Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht und Willensbekundungen geäußert.

Auch jetzt arbeiten schon viele Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund in Leipzig, deren Situation mit dem Antrag in den Fokus gerückt werden soll.

Zum 31.12.2020 waren 20 572 Menschen ohne deutschen Pass in Leipzig sozialversicherungspflichtig beschäftigt, die Zahl der Beschäftigten mit Migrationsgeschichte liegt weitaus höher. Laut der zuletzt erhobenen Migrantenbefragung liegt der Median des Nettoäquivalenzeinkommens der befragten Migrantinnen und Migranten im Mittel mit ca. 1.220 Euro (Median) um ca. 370 Euro niedriger als bei der deutschen Vergleichsbevölkerung. Die Einkommensunterschiede sind zwischen den Gruppen von Menschen mit Migrationsgeschichte allerdings different. Gering fällt das Einkommensniveau in den Herkunftsgruppen Russland, Ukraine, Kasachstan und ostasiatischen Ländern aus. Obwohl jene häufig schon länger in Leipzig bzw. Deutschland leben, ist ihre Einkommenssituation schlechter als die der deutschen Vergleichsbevölkerung. Am geringsten fällt das Einkommensniveau in der Herkunftsgruppe der so genannten OIC-Länder und Syrien aus.

(vgl: https://static.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/02.1_Dez1_Allgemeine_Verwaltung/18_Ref_Migration_und_Integration/Statistik/Migrantenbefragung_Leipzig/Migrantenbefragung_2020_Ergebnisbericht.pdf)

Menschen mit Fluchthintergrund, aber auch ausländische Studierende und EU-Bürger*innen arbeiten häufiger in schlecht bezahlten Jobs, erleben Benachteiligungen und konkret auch rassistische Diskriminierung.

Geflüchtete, EU-Bürger*innen und Drittstaatsangehörige sind zumeist nicht mit den arbeitsrechtlichen Regeln in Deutschland vertraut und finden schwer Zugänge zu diesen Informationen. Anderseits muss unterstellt werden, dass einzelne Unternehmen die Lage von Menschen mit Migrationsgeschichte auch ausnutzen. Menschen mit Migrationsgeschichte sind häufiger in irregulären, prekären Arbeitsverhältnissen angestellt. Dies hat nicht nur, aber bei Geflüchteten auch mit niedrigeren Qualifikationen, der Nicht-Anerkennung von Abschlüssen aus dem Herkunftsland, Sprachbarrieren und Barrieren zu Bildung und Qualifizierung zu tun.

Um hier Verbesserungen zu erwirken, begehrt die Antragstellerin konzertierte Maßnahmen um Menschen mit Migrationsgeschichte Wege in den formellen Ausbildungs- und Arbeitssektor zu erleichtern und die Kenntnisse über ihre Rechte und Möglichkeiten zu stärken. Dies soll in Kooperation mit Vereinen und Gewerkschaften geschehen.

Der zweite Antragspunkt widmet sich der Situation der in Leipzig lebenden Geduldeten.

Zum 28.2.2023 lebten in Leipzig fast 2000 Geduldete, d. h. Menschen, deren Abschiebung vorübergehend ausgesetzt ist. Viele von ihnen leben bereits lange Zeit hier, eine Rückkehr ist unwahrscheinlich. Gleichzeitig sind sie zum Teil von Integrationsleistungen ausgeschlossen, erhalten niedrige Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, dürfen zum Teil nicht arbeiten – ihre Perspektiven sind schlecht. Auch die zu Jahresbeginn in Kraft getretene Chancenaufenthaltsregelung wird für viele Geduldete nicht automatisch Perspektiven schaffen. Darum schlägt die Antragstellerin ein Modellprojekt für diesen Personenkreis nach Vorbild des „Spurwechsel“-Projektes der Stadt Potsdam (https://www.potsdam.de/212-modellprojekt-spurwechsel-landeshauptstadt-und-sozialministerium-informieren-ueber-die-geplante) vor, mit dem geduldeten Menschen nach einem „Clearingverfahren“ gezielt Integrations- und Qualifizierungsmaßnahmen, sozialpädagogische Betreuung und unter Rückgriff auf Netzwerke der Bundesagentur für Arbeit, Firmen, Beratungs- und Integrationsträger auch Wege in Ausbildung und Arbeit ermöglicht werden sollen. Dies könnte ein sinnvoller Baustein zur Gewinnung von Arbeits- und Fachkräften sein.