VII-A-08652 Weiterentwicklung der frühkindlichen und schulischen Bildungsstrategie der Stadt Leipzig - Handlungsprogramm „Rückenwind für Grünau“
Beschlusstext:
Die Stadtverwaltung wird beauftragt, ein Handlungsprogramm zur Weiterentwicklung der frühkindlichen Bildungsstrategie für den Planungsraum Grünau mit dem Titel „Rückenwind für Grünau“ bis Ende des 4. Quartals 2023 für die Jahre 2024- 2027 zu erarbeiten.
Das Programm verfolgt das Ziel, den eklatanten Problemlagen von Teilen der Kinder und Jugendlichen in Grünau präventiv zu begegnen. Es muss folgende Punkte enthalten:
- In 4 von 19 Grünauer Kindertagesstätten mit dem höchsten durch die Stadtverwaltung zu ermittelnden Belastungsindex zum Stichtag 01.09.2023 erfolgt spätestens mit dem Beginn des Leipziger Handlungsprogramms „Rückenwind für Grünau“ zum 01.01.2024 eine Verbesserung der Personalausstattung durch eine Verdopplung des Soll-Personalschlüssels während der pädagogischen Kernzeiten für eine bedarfsgerechtere Bildungsbegleitung. Mindestens zwei Kindertageseinrichtungen sollen kommunale Einrichtungen sein. In die Auswahl der Kindertageseinrichtungen werden bereits bestehende fachliche Ansätze z.B. zur Sprachförderung, transkulturellen Bildung, Elternarbeit, Frühförderung etc. einbezogen.
- An den gleichen 4 Kindertageseinrichtungen gemäß Beschlusspunkt 1 erfolgt mit Beginn des Haushaltsjahres 2024 eine Erhöhung der Sachkostenausstattung um 200 € pro Kind und Jahr, um Teilhabechancen an kultureller Bildung sowie an bewegungs- und sprachfördernden Angeboten zu verbessern.
- Die Steuerung des Programms erfolgt durch das Amt für Jugend und Familie. Im Jugendhilfeausschuss ist regelmäßig zur Auswahl der KITAS und zum Fortschritt der Umsetzung zu berichten.
- Als Sofortmaßnahme wird ab Beschlusszeitpunkt die personelle Besetzung des präventiv aufsuchend arbeitenden Teams (PAAT) für die ASD-Teams West I und II um je eine Vollzeitstelle aufgestockt und der Fallzahlenschlüssel des Grünauer ASD auf 1:40 durch eine entsprechende Personalzuführung herabgesenkt.
- Der Oberbürgermeister wird zusätzlich mit der Erarbeitung eines Konzeptes für eine turnusmäßige interne und externe dokumentierende Evaluation der Wirkungen der Maßnahme aus Beschlusspunkt 1 beauftragt. Es sind Kennzahlensysteme zu erarbeiten. Diese sind als Wirkungsevaluation gemeinsam mit dem Kinder- und Jugendärztlichen Dienst des Gesundheitsamtes und einem Forschungs- und Entwicklungsinstitut zu entwickeln und dem Stadtrat bis zum 30.06.2024 vorzulegen.
- Das Gesundheitsamt sichert eine Erhöhung der Teilnahme an den U-Untersuchungen, bspw. durch zusätzliche sozialräumliche konzertierte Informations- und Motivationsaktionen und berichtet einmal jährlich dem Stadtrat.
- Die Mittel für das Programm „Rückenwind für Grünau“ inklusive der Evaluation durch ein externes Institut sind im Haushalt für die Jahre bis 2027 einzustellen.
Begründung:
Bildungserfolg und die daraus resultierenden Lebensperspektiven variieren stark, je nach stadt- bzw. sozialräumlicher Lage, wie die Anfrage 08470 und der Bildungs- und Sozialreport deutlich macht. Auch bei den Bildungsempfehlungen für den Besuch der weiterführenden Bildungsformen gibt es starke sozialräumliche Unterschiede. Die Gymnasialempfehlungen sind in Leipzig immer noch von Entwicklungsraum und vom Wohnort bestimmt. Die Förderung von Bildungsgerechtigkeit muss in sozialbenachteiligten Planungsräumen jedoch bereits in der Krippe beginnen, da die Fähigkeit zur Kompensation von Bildungsbenachteiligung mit zunehmendem Lebensalter deutlich abnimmt.
In Empirie und Praxis ist seit Jahrzehnten bekannt,
- dass sichere Bindungen die Voraussetzung für Bildung sind,
- dass Kinder eine intrinsische Lernmotivation haben, die zu fördern ist,
- dass es frühe sensible Entwicklungsphasen gibt, in denen sich die Grundlagen grundlegender Fähigkeiten entwickeln – Voraussetzung: Kinder wachsen in einer anregungsreichen und herausfordernden Umwelt auf,
- Sprachentwicklung in den frühen Lebensjahren von enormer Bedeutung ist
- dass Kinder nicht nur von Erwachsenen lernen, sondern auch von anderen Kindern - Bedeutung der Peers.
In einer ganzen Reihe wissenschaftlicher Studien konnte ein Zusammenhang zwischen sozialer Benachteiligung und individuellen Entwicklungsauffälligkeiten und Sozialisationsrisiken bei Mädchen und Jungen, bspw. prekären Lebenslagen als Folge von Bewältigungsproblemen familiärer Armut, festgestellt werden (vgl. Gerda Holz, Kinderarmut und ihre Folgen: Wie kann Prävention gelingen? World Vision Kinderstudie 2010, Dresdner Lebenslagenbericht 2008). (Kleinst-)Kinder, die unter sozial benachteiligenden Lebensumständen aufwachsen, sind überproportional häufig von Defiziten bspw. in der Sprachentwicklung oder der motorischen Entwicklung betroffen, sie zeigen häufiger als andere Kinder Auffälligkeiten im Sozialverhalten, bei Spiel- und Lernaktivitäten. In allen abgefragten Bereichen der Anfrage (Schulabstinenz, Schulabbruch, Schulvermeidung, Schuleingangsuntersuchungen, Inobhutnahmen, HzE) liegt der Stadtbezirk Grünau deutlich schlechter als der städtische Durchschnitt. 24 % aller Inobhutnahmen in Relation zur Gesamtstadt finden in Grünau statt. 31 % aller stationären Hilfen zur Erziehung werden in Grünau vergeben.
Auch der Anteil derer, die die Schuleingangsuntersuchung wahrnehmen liegt mit 47 % knapp 20 % unter städtischen Durchschnitt. Aus den Ergebnissen der untersuchten Kinder lassen sich eine durchweg höhere Quote von Entwicklungsstörungen ablesen.
Trotzdem der Planungsraum Grünau in der Integrierten Kinder- und Jugendhilfeplanung (IKJHP) als Schwerpunktraum kategorisiert ist und entsprechende Maßnahmen beschrieben werden, braucht es aus Sicht der Antragstellerin dringend und zeitnah konzertierte Maßnahmen im Rahmen einer Präventionsstrategie für Kinder und Jugendliche in Grünau, die deutlich über die Planung der IKJHP hinausgehen.
Soziale Benachteiligung wirkt sich auf das gesundheitliche Wohlbefinden und die gesundheitliche Entwicklung der Kinder aus. Maßnahmen und Konzepte zur Prävention und Kompensation von Folgen sozialer Benachteiligung für die Entwicklung von Kindern nehmen in der Regel ihren Ausgang von diesen Risiken bzw. richten ihren Fokus auf ausgewählte Aspekte familiärer bzw. kindlicher Lebensführung. Auch in Leipzig stehen in Folge ungleicher Lebenslagen von Familien und Kindern bestimmte Kindertageseinrichtungen vor besonderen elementar- und sozialpädagogischen Herausforderungen wie die Kindeswohlanzeigen in Grünau zeigen.
Die Kindertageseinrichtungen sind im Rahmen öffentlicher und sozialer Verantwortung zugleich angehalten, in besonderem Maße Entwicklungs- und Bildungsrisiken von Kindern infolge sozialer Ungleichheit und Benachteiligung zu begegnen. Die Anfrage zeigt die dringende Notwendigkeit von bedarfsgerechten und frühkindlichen Handlungskonzepten zur gezielten Förderung von Kindern in den Kindertageseinrichtungen. Hier können Belastungsfaktoren für das Aufwachsen von Kindern identifiziert und frühzeitig barrierearme Angebote unterbreitet werden.
Die Stadtverwaltung Leipzig ist aufgefordert ein Konzept zu entwickeln, um einen Mehrbelastungsindex für die Grünauer KITAS auf Basis des Migrationsanteils, Sozialtransferquote, Sprachauffälligkeiten, Kindeswohlgefährdungen etc. zu entwickeln. Die Verbesserung des Betreuungsschlüssels über dem nach SächsKitaG muss hinsichtlich die Qualifikation des Personals nicht den Fachstandards des Freistaates Sachsen entsprechen. Es können je nach indiziertem Bedarf auch Logopäd:innen, Erlebnispädagog:innen, Ergotherapeut:innen, Psycholog:innen, Sozialassistent:innen oder ähnliche Fachkräfte sein. Als Orientierung kann sich am Dresdner Modell „Aufwachsen in sozialer Verantwortung“ angelehnt werden. Die Verwaltung ist aufgefordert, auf Basis der Bedarfe einen Vorschlag für die Gremien vorzulegen.