IV/A 113 Präsentation der Ausstellung "11.000 Kinder" über die Deportation jüdischer Kinder aus Frankreich auf dem Leipziger Hauptbahnhof

Die Linke.PDS Fraktion

Antragsteller:

Die Linke.PDS Fraktion

Beschlussvorschlag:

Der Stadtrat möge beschließen:

1. Es ist auf die Verantwortlichen bei der Deutschen Bahn AG an der Konzernspitze in Berlin sowie in der Bahnregion Südost in Leipzig dahingehend einzuwirken, dass die Ausstellung „11.000 Kinder“ über die aus Frankreich deportierten Kinder jüdischer Herkunft in nächster Zukunft auch auf dem Leipziger Hauptbahnhof gezeigt werden kann.

2. Geeignete Ausstellungsflächen auf dem Leipziger Hauptbahnhof soll die Bahn AG - unabhängig von privaten Mietern - in ihrem eigenen Verfügungsbereich bereit stellen, wofür sich zum Beispiel der ehemalige preußische Wartesaal anbietet.

3. Es ist zu prüfen, ob die Ausstellung durch geeignete Schrift- und Bildtafeln über die Einbeziehung des Eisenbahnknotens Leipzig in die Eisenbahntransporte jüdischer Menschen in die faschistischen Vernichtungslager ergänzt werden kann.

Begründung:

Die aktive Beteiligung der Deutschen Reichsbahn an den Transporten jüdischer Menschen in die faschistischen Vernichtungslager und in die Ghettos des NS-Systems war lange Zeit ein totgeschwiegenes oder nur als Marginalie behandeltes Thema. Erstmals veröffentlichte dagegen der US-Historiker Prof. Raul Hilberg (Träger des Geschwister-Scholl-Preises des Jahres 2002) umfassende Forschungsergebnisse (Sonderzüge nach Auschwitz, Mainz 1981).

Bei den Nachfolgern des Reichsbahn-Unternehmens führten die erschütternden Einzelheiten über die emotionslose „fahrplanmäßige“ Zuarbeit bei der Vernichtung der europäischen Juden und vieler anderer Deportierter zu keinen angemessenen Bemühungen um Ehrung für die Opfer und Hilfe für deren Hinterbliebene.

Vielmehr versuchte der Vorstand der Bahn über viele Jahre, die Erinnerung an die Deportationen zu behindern und verbot die Anbringung entsprechender Gedenktafeln auf den Bahnhofsgeländen (so in Hanau bei Frankfurt a.M.). In eigener Verantwortung veröffentlichte Untersuchungen der Bahn blieben peripher (Zug der Zeit - Zeit der Züge, München 1985; Die Eisenbahn in Deutschland, München 1999); Gedenkorte wurden abseits des Reiseverkehrs angelegt (Berlin-Grunewald, DB Museum Nürnberg)

Mit dieser Öffentlichkeitspolitik blieb die Deutsche Bahn deutlich hinter den zwischenzeitlichen Bemühungen vieler vergleichbarer Firmen zurück, die sich um Wertung dieses Teils ihrer Unternehmensgeschichte bemühten (Deutsche Bank, Krupp, Volkswagenwerk u. a.).

Der verschwiegene Umgang der heutigen Bahn AG mit ihrer Konzernvergangenheit wurde einer breiten Öffentlichkeit vollends bewusst als die französischen Staatsbahnen (SNCF) und die niederländischen Staatsbahnen (Nederlandse Spoorwegen) über ihre Verstrickung in das Deportationsgeschehen der Jahre 1942 - 1945 offensiv Auskunft gaben.

So organisierte die SNCF zwischen 2002 und 2004 auf 18 französischen Publikumsbahnhöfen, darunter auf dem internationalen Teil des Pariser Nordbahnhofs (Gare du Nord), eine Ausstellung über die 11.000 jüdischen Kinder, die auf dem Schienenweg von Frankreich in die Vernichtungslager deportiert wurden. Auch die niederländischen Staatsbahnen (Nederlandse Spoorwegen) erinnerten auf ihren großen Publikumsbahnhöfen an die Zugdeportationen nach Deutschland und von dort weiter nach Auschwitz sowie in die übrigen Vernichtungsstätten.

Träger der französischen Ausstellung war die Pariser Organisation „Filles et Fils des Deportes Juifs de France“ (Söhne und Töchter der jüdischen Deportierten aus Frankreich). Die Wanderausstellung, die Fotos der später ermordeten Kinder zeigt sowie ihre letzten Briefe dokumentiert, die aus den Viehwaggons auf die Gleise geworfen wurden, haben die beiden Antifaschisten Serge und Beate Klarsfeld (Paris) konzipiert. Die Dokumente (darunter Lebensgeschichten deutscher Kinder, die mit ihren Eltern nach Frankreich emigriert waren) wurden nach jahrzehntelangen Recherchen zusammengestellt.

In der Ausstellung wird anhand dienstlicher Unterlagen der Deutschen Reichsbahn nachgewiesen, dass Deportationszüge auf ihrem Weg von Le Bourget bei Paris über den Leipziger Güterring geführt wurden und auf dem Güterbahnhof Engelsdorf Station machten, bevor sie die Selektionsrampen der Todeslager erreichten. Unter den dort ermordeten Kindern befinden sich auch deutsche Kinder aus Leipzig und aus den benachbarten Regionen.

Darüber hinaus ist belegt, dass Leipzig als Zentrum des deutschen Eisenbahnverkehrs von einer Vielzahl Deportationszüge aus München, Frankfurt/Main, Kassel, Chemnitz und thüringischen Städten berührt wurde und dass der Leipziger Hauptbahnhof selbst Ausgangspunkt für Züge mit Leipziger Juden polnischer Herkunft war, die 1938 nach Polen deportiert wurden.

Es spricht deshalb alles dafür, die Ausstellung über die 11.000 deportierten jüdischen Kinder aus Frankreich, möglichst ergänzt um weitere Bezüge zu diesem Kapitel der Leipziger Eisenbahngeschichte, am Ort der Geschichte selbst, also auf dem Leipziger Hauptbahnhof zu zeigen, zumal die kleine Präsentation anlässlich des 90. Jahrestages des Hauptbahnhofs (2005) dieses Kapitel ausgeblendet hat.

Dabei folgen wir der Ansicht und Einsicht von Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der im Jahr 2004 in einem Beitrag für „DIE ZEIT“ vom 1. April 2004 äußerte: „Wir Deutschen haben - ähnlich wie die meisten Nationen - nur in geringem Maße gelernt, unsere eigene Geschichte mit den Augen der Nachbarn zu betrachten.“

Wir begrüßen die Initiative von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, der die Ausstellung zur Präsentation im Lichthof des Berliner Bundesverkehrsministeriums empfahl und dem Bahnvorstand in einem Interview mit der Jüdischen Allgemeine vom 30. März 2006 öffentlich anriet, die Ausstellung anschließend auf den deutschen Publikumsbahnhöfen zu zeigen. Der Leipziger Hauptbahnhof ist wegen seiner historischen Bedeutung ein besonders geeigneter Ort, diesem Rat des Herrn Bundesministers zu folgen.

Damit würde über die öffentlichkeitswirksame Präsentation hinaus zugleich ein deutliches Signal für das gewandelte Geschichtsbewusstsein der Deutschen Bahn gesetzt und der mutige Umgang Leipzigs mit seiner Vergangenheit dokumentiert.

Geänderter Beschluss:

1. Die Stadt Leipzig empfiehlt dem Centermanagement der "Promenaden Hauptbahnhof Leipzig", im Juli 2007 (Zeitpunkt der Jüdischen Woche) die Ausstellung "11.000 Kinder" zu zeigen. Der Oberbürgermeister wird ein entsprechendes Schreiben an den Centermanager verfassen.2. Die Präsentation der Ausstellung wird vom Stadtgeschichtlichen Museum mit geeigneten Elementen einer eigenen Ausstellung zur Deportation von Leipziger Juden, die im Herbst 2006 stattfinden wird, ergänzt.

Aktueller Stand:

in Bearbeitung

Anmerkung:

Unser Antrag wurde im Sinne des Verwaltungsstandpunktes zur Ratsversammlung 20.9.2006 beschlossen.