VII-F-10182 Aktuelle demografische Entwicklungen in Leipzig

SR Dr. Volker Külow

Die jüngste Analyse zur Stadtgesellschaft (Heft 6) vom Amt für Statistik und Wahlen trägt den Titel „Wanderungsgewinne und Geburteneinbruch – Evaluation der Leipziger Bevölkerungsvorausschätzung 2023“. Diese Analyse muss selbstverständlich in Verbindung mit der Kita-Bedarfsplanung und dem Ergebnisbericht zur Bevölkerungsvorausschätzung 2023 betrachtet werden.

In der begleitenden Medieninformation (Leipzig, den 26. März 2024) zu Heft 6 wird insbesondere auf den rapiden Rückgang der Geburtenzahl und Fertilität aufmerksam gemacht. In der Analyse selbst gibt es dann interessante Prognosen zur relativen Entwicklung ausgewählter Altersgruppen bis 2040; in den nächsten Jahren wird insbesondere bei den Kindern im Vorschulalter und später auch bei den Grundschulkindern mit einem weiteren Rückgang gerechnet. Schlussfolgerung in der Analyse: „Für die Kommunalpolitik ergibt sich hieraus der Auftrag, positiv auf die Rahmenbedingungen für einen Kinderwunsch einzuwirken.“ (Seite 24)

Fragen an den Oberbürgermeister:

  1. Wie viele Kinder wurden im ersten Quartal 2024 geboren und lässt sich daraus schon ein Trend bzw. eine Prognose für die ungefähre Geburtenzahl für das Gesamtjahr 2024 sowie die weitere mögliche Entwicklung der Zusammengesetzten Geburtenziffer (TFR, Total Fertility Rate) ableiten?
  2. Welche Schlussfolgerungen werden aus den dargelegten demografischen Entwicklungen explizit für die Schulentwicklungsplanung gezogen, d.h. werden alle Schulbauprojekte weiter so umgesetzt wie geplant oder gibt es bereits eine entsprechende Anpassung der Vorhaben bzw. ist diese in nächster Zeit beabsichtigt? Wenn nein, warum nicht?
  3. Ist die Kitabedarfsplanung angesichts der hier in Bezug genommenen Analyse noch einmal anzupassen?
  4. Welche Möglichkeiten sieht die Verwaltung, dass die Kommunalpolitik „positiv auf die Rahmenbedingungen für einen Kinderwunsch“ einwirken kann?

Antwort

Die jüngste Analyse zur Stadtgesellschaft (Heft 6) vom Amt für Statistik und Wahlen trägt den Titel „Wanderungsgewinne und Geburteneinbruch – Evaluation der Leipziger Bevölkerungsvorausschätzung 2023“. Diese Analyse muss selbstverständlich in Verbindung mit der Kita-Bedarfsplanung und dem Ergebnisbericht zur Bevölkerungsvorausschätzung 2023 betrachtet werden.

In der begleitenden Medieninformation (Leipzig, den 26. März 2024) zu Heft 6 wird insbesondere auf den rapiden Rückgang der Geburtenzahl und Fertilität aufmerksam gemacht. In der Analyse selbst gibt es dann interessante Prognosen zur relativen Entwicklung ausgewählter Altersgruppen bis 2040; in den nächsten Jahren wird insbesondere bei den Kindern im Vorschulalter und später auch bei den Grundschulkindern mit einem weiteren Rückgang gerechnet. Schlussfolgerung in der Analyse: „Für die Kommunalpolitik ergibt sich hieraus der Auftrag, positiv auf die Rahmenbedingungen für einen Kinderwunsch einzuwirken.“ (Seite 24)

Fragen an den Oberbürgermeister:

1. Wie viele Kinder wurden im ersten Quartal 2024 geboren und lässt sich daraus schon ein Trend bzw. eine Prognose für die ungefähre Geburtenzahl für das Gesamtjahr 2024 sowie die weitere mögliche Entwicklung der Zusammengesetzten Geburtenziffer (TFR, Total Fertility Rate) ableiten?

Im ersten Quartal 2024 wurden 1.222 Geburten verzeichnet. Im Vergleich zum ersten Quartal 2023, in dem 1.235 Geburten registriert wurden, ergab sich somit ein leichter Rückgang von 1,1 %.

Basierend auf diesen Zahlen wäre zu erwarten, dass die zusammengefasste Geburtenziffer dieses Jahr auf ähnlich niedrigem Niveau wie im Vorjahr verbleibt. Allerdings muss hier hervorgehoben werden, dass wir noch am Anfang des Jahres stehen und diese Aussage mit erheblicher Unsicherheit behaftet ist.

Generell wird die Entwicklung der Geburtenzahl in Leipzig von zwei Trends bestimmt: Zum einen sinkt die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter, da die Generation der geburtenstarken Jahrgänge der 1980er-Jahre allmählich älter wird und die geburtenschwächeren Jahrgängen der 1990er- und 2000er-Jahre nachrücken. Zum anderen ist ein deutlicher Rückgang der zusammengefassten Geburtenziffer in den letzten Jahren zu beobachten. In dieser Hinsicht steht Leipzig nicht alleine dar; in vielen weiteren Städten (z.B. Jena, Dresden, Stuttgart und München) in Deutschland ist ein ähnlicher Trend zu beobachten.

2. Welche Schlussfolgerungen werden aus den dargelegten demografischen Entwicklungen explizit für die Schulentwicklungsplanung gezogen, d.h. werden alle Schulbauprojekte weiter so umgesetzt wie geplant oder gibt es bereits eine entsprechende Anpassung der Vorhaben bzw. ist diese in nächster Zeit beabsichtigt? Wenn nein, warum nicht?

Die Evaluation zur Bevölkerungsvorausschätzung des Amtes für Statistik und Wahlen wird vom Amt für Schule in der Erstellung der Planung berücksichtigt. Weiterhin wird die Entwicklung der Anzahl der wohnhaften schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen regelmäßig mit den Planungen abgeglichen.

Aktuell arbeitetet das Amt für Schule an der Fortschreibung des Schulentwicklungsplanes. Dafür werden die Daten der Bevölkerungsvorausschätzung auch mit dem Blick auf die aktuellen Entwicklungen hinsichtlich Wanderungen und Geburten verwendet.

Gegenwärtig ist die Situation an den Leipziger Schulen ausgesprochen angespannt. Die überwiegende Zahl der Schulen ist seit mehreren Jahren über ihre Regelkapazität belegt. Es sind zahlreiche Horträume in Doppelnutzung, ein Großteil der GTA-Räume wurde zu Unterrichtsräumen umfunktioniert und Fachkabinette werden stark ausgelastet. Damit gehen Einschränkungen im Hinblick auf die Umsetzung pädagogischer Konzepte der Schulen einher und stellen diese vor große schulorganisatorische Herausforderungen.

Ursache dafür ist zum einen die starke Zuwanderung durch Migration und Flucht in den letzten beiden Jahren, die sich vor allem in den Altersgruppen der Oberschulen und Gymnasien gezeigt hat. Es bestand die Notwendigkeit, zusätzliche Klassen zu bilden, um eine Teilintegration dieser Schüler ermöglichen zu können. Die Zahl der wohnhaften 6 bis 15-Jährigen liegt derzeit über den für diese Altersgruppen prognostizierten Einwohnerzahlen aus der oberen Variante. Zum anderen sind in den letzten Jahren geplante Schulbaumaßnahmen durch z.T. deutliche Bauverzögerungen verspätet ans Netz gegangen.

Die Stadtverwaltung Leipzig erwartet bis mindestens 2028 starke Einschulungsjahrgänge für die Grundschulen, die dann nach vier Jahren einen Platz in den weiterführenden Schulen benötigen, um dort für sechs (Oberschulen) bis acht Jahre (Gymnasien) Schulplätze zu belegen. Mit diesen Erkenntnissen wird sich die Überbelegung vor allem in den weiterführenden Schulen noch bis ca. 2030/31 an den Oberschulen und bis 2032/33 an den Gymnasien fortsetzen. Auch in den nächsten Jahren wird die Zahl der Eingangs- die der Abgangsklassen übersteigen, womit sich die Situation noch verschärfen wird und kurzfristiger Maßnahmen bedarf.

Im Hinblick auf zukünftig zurückgehende Schülerzahlen wird die Stadt Leipzig im Rahmen der Fortschreibung der Schul- und Kitabaustrategie Anpassungen vornehmen. Diese Anpassungen werden auch im Schulentwicklungsplan Berücksichtigung finden. Einige Schulbauprojekte, welche bisher als neue und eigenständige Schulen geplant waren, sind nun zunächst als sogenannte Auslagerungsschulen vorgesehen. Mithilfe der Auslagerungsschulen wird die Möglichkeit geschaffen, im Umfeld befindliche Bestandsschulen zu sanieren. Diese Schulen sollen während der Bauzeit in den Auslagerungsschulen den Schulbetrieb interimsweise fortführen. Zugleich bieten diese Auslagerungsschulen die Möglichkeit, im Bedarfsfall durch Neugründung von Schulen oder Einrichtung von Außenstellen Kapazitätsengpässen entgegenzuwirken. Damit besteht größtmögliche Flexibilität für die zukünftige Bedarfsentwicklung. Gleichzeitig ermöglichen die Auslagerungsschulen erstmals eine langfristige Perspektive für un- bzw. teilsanierte Bestandsschulen, die perspektivisch in jedem Fall einer Sanierung zugeführt werden müssen.

Mit einer möglichen Entspannung der gegenwärtigen Situation kann die Doppelnutzung der Räume wieder auf das angestrebte Maß der Stadt Leipzig entsprechend der baulichen Vorgaben zurückgeführt werden. Angesichts steigender Inklusions- und Integrationszahlen müssen die bestehenden räumlichen Konzepte und Gegebenheiten im Sinne eines zeitgemäßen und barrierefreien Schulbetriebes angepasst werden.

3. Ist die Kitabedarfsplanung angesichts der hier in Bezug genommenen Analyse noch einmal anzupassen?

Zur Bestimmung des Platzbedarfes für den Zeitraum 2024 ist die Verwendung von Bedarfsquoten für die einzelnen Betreuungsbereiche notwendig. Die Bedarfsquote bezeichnet dabei den Anteil der in der Stadt Leipzig wohnhaften Kinder einer Altersgruppe, für den im Planungszeitraum voraussichtlich Plätze nachgefragt wird. Zur Ermittlung des Platzbedarfs werden die Bedarfsquoten auf die zur Verfügung stehenden Daten der Bevölkerungsvorausschätzung 2023 der Stadt Leipzig (Hauptvariante) angewendet. Die Bedarfsplanung 2024 (VII-DS-09247) wurde beschlossen und wird wieder im nächsten Jahr angepasst.

Das sich in Arbeit befindliche Langfristige Entwicklungskonzept für die Kindertagesbetreuung nimmt sich dem Thema an und greift die aktuelle Entwicklungen auf. Im Zuge eines Runden Tisches Kita werden aktuell Maßnahmen diskutiert, wie mit dem Kapazitätsüberschuss umgegangen werden wird. Die Ergebnisse fließen in das Langfristige Entwicklungskonzept Kindertagesbetreuung ein. Das Konzept soll noch im ersten Halbjahr 2024 vorgelegt werden.

4. Welche Möglichkeiten sieht die Verwaltung, dass die Kommunalpolitik „positiv auf die Rahmenbedingungen für einen Kinderwunsch“ einwirken kann?

Trends und Entwicklungen des Geburtenverhaltens unterliegen oft gesamtgesellschaftlichen Gegebenheiten. Aus der Forschung ist beispielsweise bekannt, dass sich Unsicherheiten ökonomischer Art und darüber hinaus auch persönliche Zukunftserwartungen auf das Fertilitätsverhalten auswirken. Ebenso ergab sich ein deutlicher Fertilitätsrückgang im Rahmen der späteren Phase der Corona-Pandemie. Diese Befunde legen nahe, dass die Familiengründung und ‑erweiterung in Phasen gesamtgesellschaftlicher oder individueller Unsicherheit aufgeschoben wird.

Auf Grundlage dieser Forschungsergebnisse ist davon auszugehen, dass die Reduzierung von Unsicherheit dazu beiträgt, dass Individuen langfristige Weichenstellungen wie eine Familiengründung eher eingehen, wenn verlässliche ökonomische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen vorliegen.

Auch die aktuelle Leipziger Schülerinnen und Schülerbefragung aus dem Jahr 2023 zeigt auf, dass das Lebensziel, später einmal selbst Kinder haben zu wollen, bei den Befragten enorm zurückgegangen ist: Nur noch 41 Prozent der Schülerinnen und Schüler erachten dies als wichtig an – ein Rückgang um 33 Prozentpunkte im Vergleich zu 2010.

Die Kommunalpolitik kann hier auf eine Reduzierung spezifischer Unsicherheiten hinarbeiten, wobei auf lokaler Ebene vor allem ökonomische Unterstützungsleistungen, ein verlässliches Betreuungsangebot und Stabilität auf dem Miet- bzw. Wohnungsmarkt gehören.

 

Siehe hierzu folgende Publikationen:

Abel, F., Bittner J., Ehlert T., Greunke P., Hemming, K., Kachel, G., Köbler, T., König, R.,

Lagrange, M., Netwall, N., Schultz, A., Waschipky, M. (2023). Jugend in Leipzig 2023.

Bujard, M., & Andersson, G. (2024). Fertility Declines Near the End of the COVID-19

Pandemic: Evidence of the 2022 Birth Declines in Germany and Sweden. European

Journal of Population, 40(4).

Matysiak, A., Sobotka, T., & Vignoli, D. (2021). The Great Recession and Fertility in Europe: A Sub-national Analysis. European Journal of Population, 37, S. 29-64.

doi:10.1007/s10680-020-09556-y

Schmitt, C. (2021). The impact of economic uncertainty, precarious employment, and risk

attitudes on the transition to parenthood. Advances in Life Course Research, 47, S.

100402.

Vignoli, D., Guetto, R., Bazzani, G., Pirani, E., & Minello, A. (2020). A reflection on economic uncertainty and fertility in Europe: The Narrative Framework. Genus, 76(28).