Armutsdebatte: Realitätssinn ist keine Stigmatisierung

Dr. Dietmar PellmannSozialpolitischer Sprecher

In der heutigen Ausgabe der Leipziger Volkszeitung wirft mir der Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion, Herr Dr. Joachim Fischer, „versuchte Stigmatisierung“ vor, weil ich Leipzig zum wiederholten Male als sächsische Armutshauptstadt bezeichnet habe

In der heutigen Ausgabe der Leipziger Volkszeitung wirft mir der Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion, Herr Dr. Joachim Fischer, „versuchte Stigmatisierung“ vor, weil ich Leipzig zum wiederholten Male als sächsische Armutshauptstadt bezeichnet habe. Leipzig dürfe nicht schlecht geredet werden. Investoren ließen sich, so Fischer, nur „durch positive Werbung für unsere Stadt“ gewinnen.

Zu diesen Vorhaltungen ist festzustellen:

Realitätssinn ist keine Stigmatisierung. Erst wenn wir die wirkliche soziale Lage in unserer Stadt genau analysieren und zur Kenntnis nehmen, können langfristig auch die notwendigen politischen Entscheidungen getroffen und damit die weitere Zuspitzung sozialer Konflikte verhindert werden. Ein Vergleich Leipzigs mit der Landeshauptstadt Dresden oder mit Chemnitz lässt eben erkennen, dass unsere Stadt wesentlich stärker von Langzeitarbeitslosigkeit, das Angewiesensein auf soziale Leistungen und damit von Armut betroffen ist. Das öffentlich zu benennen, führt keineswegs zur Abschreckung von Investoren. Glaubt Herr Fischer ernst-haft, dass sich Investoren nicht vorher auch über die soziale Lage informieren, bevor sie sich für Leipzig entscheiden? Eine Neuansiedlung in Leipzig dürfte es nämlich eher dann geben, wenn die Investoren sicher sein können, dass die politischen Entscheidungsträger die Lage in ihrer Stadt realistisch einschätzen. Genau daran hat es in den letzten Jahren oft gefehlt, was den Rückstand Leipzigs gegenüber Dresden und Chemnitz mit verursachte und schließlich auch zur erheblichen Verschuldung führte. Wer unablässig Leipzig als die aufstrebende Vorzeigestadt im Osten pries, musste sich nicht wundern, wenn beispielsweise die sächsische Staatsregierung unsere Stadt bei der Vergabe von Fördermitteln benachteiligte oder sich einem gerechten Soziallastenausgleich versperrte.

Aus meiner Sicht ist deshalb ein Umdenken nötig. Wir sollten gemeinsam in Leipzig nach neuen Wegen der Beschäftigungsförderung suchen. Dabei kann Bürgerarbeit ein Weg sein. Darüber hinaus sollten sich endlich alle Leipziger Landtagsabgeordneten, also auch die von CDU und SPD, für die Interessen unserer Stadt einsetzen. Das bedeutet, für einen gerechten Ausgleich der Sozialausgaben zu sorgen, die in Dresden nur halb so hoch wie in Leipzig sind. Schließlich muss im Landtag endlich eine gerechte Verteilung der Bundeszu-schüsse für Hartz IV an die Kommunen durchgesetzt werden, weil Leipzig bisher am meisten benachteiligt ist.