Wissenslücken zur russisch-ukrainisch-sprachigen Diaspora schließen!

Dr. Olga Naumov

Sehr geehrter Herr OB und Beigeordnete, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

 

seit dem 24. Februar dieses Jahres befinden wir uns in einer Zeitenwende, wie wir sie lange nicht mehr erlebt haben. Neben den wirtschaftlichen Auswirkungen, die wir alle spüren, kommen nun auch grundlegende moralische Diskussionen zum Umgang mit Russland hinzu. Und damit hat sich auch ein Antrag der CDU-SPD-Fraktionen befasst. Und zwar folgendermaßen: „Beendigung der Zusammenarbeit mit dem russischen Generalkonsulat und Stärkung des kulturellen und friedlichen Austauschs mit russischen und ukrainischen Menschen in Leipzig“ Darin forderten die Antragsteller

  • die Beendigung der protokollarischen und freiwilligen Zusammenarbeit mit dem Generalkonsulat
  • finanzielle Mittel für Initiativen, die sich für den friedlichen Austausch von Ukrainern und Russen einsetzen

Wo ist der Fehler? Zunächst einmal war die protokollarische Zusammenarbeit zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags bereits beendet. Wozu also dieser Beschlusspunkt? Darüber hinaus frage ich mich, welchen Zweck die Beendigung der freiwilligen Zusammenarbeit hat. Was passiert mit den Städtepartnerschaften? Wer den Deutschen Städtetag aufmerksam verfolgt, hat auch folgenden Standpunkt verstanden:

Die belastbaren Kooperationen zwischen deutschen Städten einerseits und Städten in Russland und der Ukraine andererseits sind ein Weg, den Wert eines friedlichen Miteinanders und den Gedanken der Völkerverständigung zu betonen. Der Deutsche Städtetag bittet seine Mitgliedsstädte, vorhandene Kooperationen zu stärken. Lasst uns gemeinsam die Werte von Frieden, Freiheit und Demokratie hochhalten.

Ich bitte Sie: Recherchieren Sie, bevor Sie solche Anträge stellen!

Als nächstes steht da die Stärkung des friedlichen Austauschs von Ukrainern und Russen. Das impliziert, dass es ein friedliches Miteinander zwischen Russen und Ukrainern hier nicht gibt. Hierzu gab es auch keine fachliche Rücksprache mit dem Migrantenbeirat oder Referat für Migration. Denn dann wüssten die Antragsteller, dass die russisch-ukrainisch-sprachige Diaspora in Leipzig sehr heterogen ist: Ich bin RusslandDeutsche, meine Familie kam in den 90ern nach Leipzig. Und mit uns kamen Ukrainer, Kasachen, Usbeken, Tadschiken, Kontingentflüchtlinge (d.h. Juden) und noch viele anderen. Und wir alle leben friedlich miteinander – da wird nicht unterschieden zwischen Russe oder Ukrainer. Daran ändert auch der neue Migrationsschub nichts. Das spiegelt sich auch in den zahlreichen Vereinen und Schulen in Leipzig wider. Dazu gibt es auch tolle Beispiele, z.B. den Verein Iuventus oder die Vektorschule, die mit Menschen verschiedenster Nationalitäten zusammenarbeiten und auch ukrainische Flüchtlingskinder aufgenommen haben. Also bitte nutzen Sie die Ansprechpartner, die sie haben: Referat für Migration, Migrantenbeirat, die Vereine, oder kommen Sie zu mir. Machen Sie sich schlau, denn hier sehe ich ein großes Problem: Es geht nicht nur um Konflikte zwischen Russen und Ukrainern – sondern auch um Deutsche, die scheinbar massive Vorbehalte gegen diese Migrationsgruppe haben. Sie alle haben den Monitoringbericht des Migrantenbeirats erhalten. Sie wissen, welche Diskriminierung Ukrainer und Russen gerade erfahren. Lassen Sie uns etwas dagegen tun – und da müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen und nicht Ukrainer und Russen abstempeln.

Zum Verfahren: Der Antrag wurde in erster und zweiter verbundener Lesung, ohne Vorberatung, ohne Notwendigkeit der Eilbedürftigkeit, im Verwaltungsausschuss am 4. Mai abgestimmt. Man könnte Symbolpolitik vermuten. Es gab keine Möglichkeit, den Inhalt des Antrags noch einmal kritisch zu diskutieren, was bei der Tragweite und Sensibilität des Antrags dringend geboten wäre. Der Antrag wäre auch in keinen anderen Ausschuss zur fachlichen Beratung gekommen. Obwohl wir den Diskussionsbedarf mehrfach kundgetan haben, wurde dies ignoriert und der Antrag wurde abgestimmt. Bis auf uns nahmen alle Fraktionen an der Abstimmung teil.

Wir sprechen hier oft darüber, dass unsere Anträge doch bitte überlegter sein sollten, um die Ratsarbeit effizient zu gestalten. Das habe ich hier nicht gesehen. Aber zumindest danke ich den Antragstellern, dass sie die Hinweise aus dem Verwaltungsausschuss mitgenommen, verarbeitet haben und auch noch mal den Kontakt zum Migrantenbeirat gesucht haben. Aber es gibt noch viel zu tun und wir haben festgestellt, es gibt auch große Wissenslücken zur russisch-ukrainisch-sprachigen Diaspora. Und hier stellen wir den Ergänzungsantrag, der wir mit dem Referat für Migration und Migrantenbeirat abgestimmt haben. Er sagt folgendes:

  • Die Stadt Leipzig lässt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Slawistik eine Informationsbroschüre zur russisch- und ukrainisch-sprachigen Diaspora (einschließlich aller Migrantinnen und Migranten aus der ehem. Sowjetunion bzw. GUS-Staaten) in der Region erarbeiten,
  • Diese ist eine Grundlage für deutsch-russische-ukrainische Friedenstrialoge, konzipiert und organisiert durch russisch- und ukrainisch-sprachige Vereine oder Initiativen in Leipzig, erscheint und dienen soll.

 

Ich bitte um Ihr Vertrauen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit