Stadt Leipzig wird ihren Verpflichtungen bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention und dem Schutz vor häuslicher Gewalt "aktuell nur begrenz gerecht"

Dr. Volker Külow

Es ist erst wenige Tage her, dass sich am 25. November auch in Leipzig viele Menschen am internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen in vielfältiger Weise beteiligten. Dieses Engagement ist leider weiterhin dringend notwendig, denn auch in unserer Stadt ist die Lage dramatisch, wie wir alle hier im Saal spätestens seit dem 3. Juli wissen. Anlässlich der Stadtratssitzung an diesem Tag wandten sich das Netzwerk gegen Häusliche Gewalt und Stalking Leipzig, die Zentrale Sofortaufnahme der Frauen*schutzhäuser Leipzig (F*KSE), das 4. Frauen*- und Kinderschutzhaus Leipzig sowie die Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (KIS) sowie Frauen für Frauen e.V  mit einem Offenen Brief zur Krisensituation im Gewaltschutz in Leipzig an alle Stadträtinnen und Stadträte sowie an politische Entscheidungsträgerinnen und -träger im Freistaat Sachsen.

Wir wurden damals darauf aufmerksam gemacht, dass die Stadt Leipzig ihren Verpflichtungen bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention und dem Schutz vor häuslicher Gewalt „aktuell nur begrenz gerecht“ wird: „Und das trotz vieler Hinweise auf den Ernst der Lage. Die Stadt Leipzig und die sächsische Staatsregierung kennen die Problemlage seit mindestens einem Jahr.“ Nach Einschätzung der Briefunterzeichnerinnen und -unterzeichner ist „das gesamte Gewaltschutznetz in Leipzig (…) systematisch überlastet. Besonders betroffen sind die Zentrale Sofortaufnahme der Frauen*häuser Leipzig und die Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (KIS).“

Viele Belege für diese Kritik wurden angeführt, z.B. hat sich die Zahl der polizeilichen Mitteilungen nach Einsätzen zu häuslicher Gewalt an die KIS seit 2021 mehr als verdreifacht. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden 55 Menschen von der Polizei oder der KIS mit dem Merkmal „Hochrisiko“ versehen, d.h. die akute Gefahr einer schweren Verletzung oder gar Tötung stand im Raum. Für das Jahr 2022 wurden allein in der Sofortaufnahme 248 Abweisungen mit 315 Kindern dokumentiert. Bis Ende 2023 werden voraussichtlich bis zu 1.100 Personen, die von Gewalt betroffen sind, ohne Beratung und Unterstützung bleiben. Die Dunkelziffer liegt noch wesentlich höher.

Aus diesem Grunde ergriffen die Linksfraktion und die Fraktion der Grünen die parlamentarische Initiative und reichten nach der Sommerpause den Antrag „Umsetzung der Istanbul-Konvention in Leipzig - Gewaltschutz bedarfsgerecht ausbauen und aktive Prävention von Feminiziden stärken“ ein. In insgesamt fünf Punkten wurden konkrete Forderungen und Vorschläge unterbreitet, darunter die Erweiterung der personellen und räumlichen Kapazitäten der KIS Leipzig zum 1. Januar 2024; auch die Zentrale Sofortaufnahme der Frauen*- und Kinderschutzeinrichtungen soll gestärkt werden. Nachdem die Stadt im Verwaltungsstandpunkt einigen Forderungen behutsam entgegenkam und auch die sächsische Staatsregierung ihre Bereitschaft signalisierte, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, wurde eine Neufassung des Antrages – dem sich erfreulicherweise auch die SPD angeschlossen hat – erarbeitet. In diesem jetzt zur Beschlussfassung vorliegenden Antrag wird in den ersten beiden Punkten deutlich pointierter als bisher eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der entsprechenden Strukturen in Aussicht gestellt, darunter als Modellprojekt eine Art zweite KIS.   

Wird dieser Antrag heute angenommen, reifen allerdings noch längst nicht alle Blütenträume, sondern wir haben dann erst mal zunächst nur eine Art Notreparatur des Systems beschlossen. Sollte das Modellprojekt im selben Umfang wie die KIS ausgestattet sein, könnte nicht einmal allen aktuell Hilfesuchenden – ich nannte vorhin die entsprechende Zahl 1.100 - ein Angebot unterbreitet werden. Da die Fallzahlen seit 2020 sprunghaft steigen, ist davon auszugehen, dass sich diese Tendenz leider auch 2024 fortsetzt. Somit kann selbst mit einer Verdopplung der aktuellen Kapazität der voraussichtliche Bedarf nicht gedeckt werden.

Es braucht also spätestens mit dem Beschluss zum Doppelhaushalt 2025/2026 eine weitere dynamische Aufstockung der entsprechenden Ressourcen. In diese Debatten über die Konzeptionierung neuer Strukturen muss die KIS frühzeitig einbezogen werden, wie es bei der Sicherheitskonferenz am 4. Oktober 2023 und im persönlichen Gespräch der Sozialbürgermeisterin mit den Akteurinnen der KIS zugesichert wurde. Das ist bislang nicht geschehen, was zu der großen Sorge führt, dass das geplante Modellprojekt möglicherweise an den eigentlichen Bedarfen vorbeigehen könnte.

Ich bin aber zuversichtlich, dass dieses Defizit noch behoben wird, da sich die Zusammenarbeit mit der Verwaltung bei diesem Thema insgesamt als fruchtbar und kooperativ erwiesen hat. Dafür möchte ich zum Schluss nochmals ausdrücklich danken und in diesem Sinne um breite Zustimmung für den Antrag der drei Fraktionen bitten.