Mit Wagenplätzen entsteht eine neue Wohnkultur

Beate Ehms

Wir haben den Änderungsantrag zurückgezogen. Gestatten Sir mit trotzdem ein paar Worte zur Problematik Wagenplätze. Wir werden immer wieder damit zu tun haben und es ist ein Thema, bei dem die Emotionen so richtig hochkochen können.
Auf der einen Seite gibt es die Besetzenden, die sich einfach auf Gelände niederlassen, von dem sie der Meinung sind, dass dieses für ihre Art des Wohnens geeignet ist. Auf der anderen Seite stehen Nachbar*innen, die um ihre Ruhe und den Umweltschutz fürchten, Lärmbelästigungen und einen Wertverlust ihrer Immobilie kommen sehen.

In Deutschland gibt es inzwischen über 100 Wagenplätze (oder auch Wagendörfer genannt).
Sie heißen Rummelplatz, Laster & Anhänger, Freiraum Elbtal, LPG im Wagen oder auch, wie in Leipzig: Focke 80, Tailermoon oder Anna Ecke.

Die Bewohner*innen gestalten sich ihren Lebensraum mit geringem Aufwand und überwiegend ökologischen Baustoffen. Es gibt keine weitere Flächenversiegelung. Begrenzte Räumlichkeiten erlauben ein sparsames Heizen mit Holz als einem nachwachsenden Rohstoff.
Besonders wichtig sind die sozialen Aspekte. Wie oft ist es so, dass mensch nicht weiß, wer noch alles im Mehrfamilienhaus wohnt und die Leute sich nicht umeinander kümmern, weil jeder nur mit sich beschäftigt ist. Mit Wagenplätzen entsteht eine Wohnkultur, die der heutigen weitgehenden Vereinzelung isolierter Mietparteien in anonymen und weitläufigen Mietobjekten entgegenläuft. Oft werden sogar Veranstaltungen organisiert und das Gelände steht Gästen offen.

Leider werden diese positiven Aspekte von den Anwohnenden nicht gesehen. Die Skepsis gegenüber der unkonventionellen Art zu leben überwiegt. Hauptkritikpunkte von sind immer wieder die hygienischen Zustände aufgrund fehlender Abflussanlagen und Müllentsorgung. Dafür lassen sich aber Lösungen finden. Das ist Aufgabe der Bewohnerinnen und Bewohner und wird in dem angestrebten Pachtvertrag geregelt.

Oftmals verbergen sich hinter den Argumenten der Gegner*innen vor allem ästhetische Bedenken.

M. E. sollte es möglich sein, geeignete Standorte für Wagenplätze im Leipziger Stadtgebiet zu finden. Es ist nämlich in erster Linie kein baurechtliches Problem, sondern eine Frage des politischen Willens und der Frage, wie Mehrheiten mit den Wünschen von Minderheiten umgehen.

Leipzig wirbt mit dem Slogan, Stadt der Vielfalt zu sein. Und Vielfalt bedeutet auch Vielfalt an Wohnformen. Freilich müssen diese den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Das bestehende Planungsrecht ist kein allumfassendes, sämtliche Entwicklungen vorhersehendes Regelwerk. Aus diesem Grund existieren Ausnahmeregelungen, die durchaus Handlungsspielräume eröffnen.

Das Sächsische Bestattungsgesetz z. B. : Ja, es ist von 35 Metern Mindestabstand die Rede. Aber es heißt eben auch:

„Es können geringere Abstände zugelassen werden, wenn dies mit den nachbarlichen Belangen  vereinbar ist und Ruhe und Würde des Friedhofs nicht wesentlich beeinträchtigt werden“ (§ 5 Abs. 5 SächsBestattungsG). Dazu muss mit allen Beteiligten noch einmal das Gespräch gesucht werden. Die Vorwürfe, es habe Störungen durch Lärm, Lagerfeuer und Holzdiebstahl gegeben, konnten bereits entkräftet werden.

Wagenplätze wird es weiterhin geben.
Es bleibt zu hoffen, dass sich die gesellschaftlichen Einschätzungen im Laufe der Zeit, so, wie es z. B. bei der Beurteilung von Wohngemeinschaften eingetreten sind, verändern und es auch bei dieser Wohnform zu einer breiteren Akzeptanz kommt.

Die auftretenden Probleme auf Wagenplätzen und mit der Nachbarschaft liegen eigentlich im Rahmen des üblichen und sollten kein Grund für ein besonderes öffentliches Abwehrverhalten sein.

Grundsätzlich sollte eine Stadt versuchen, den Interessen aller ihrer Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden.

(5) Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten. Sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern, sowie die städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und zu entwickeln. Hierzu soll die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen.

Eine Lösung könnt sein: Die Ausweisung von Sonderbauflächen für Alternatives Wohnen im Flächennutzungsplan.
Schön wäre es auch, wenn die Stadt einen Koordinator für die Belange der Wagenplätze benennen würde.

Aufgabe der Politik ist es , Veränderungen in den Ansprüchen an Wohn- und Lebensformen aufzugreifen und diese so zu unterstützen, dass sie im Sinne der Allgemeinheit verträglich umgesetzt werden können.

Ich bitte um Ihre Zustimmung zum Beschlussvorschlag des Petitionsausschusses und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.  

Rede zur Petition P 02275 "Illegale Wagenburg in der Alten Salzstraße/ Ecke Saarländer Straße".