Aus den Erfahrungen lernen und die Fehler verhindern

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Verehrte Beigeordnete! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Als ich vor reichlich zwei Jahren Mitglied dieses Hohen Hauses, des Leipziger Stadtrats, wurde, war eines der ersten Themen, von denen ich als Mitglied des Fachausschusses Allgemeine Verwaltung hörte, das Thema „Einführung der Ortschaftsverfassung bzw. Gültigkeit der Ortschaftsverfassung für das gesamte Stadtgebiet“. Ich wusste zwar ungefähr, was Stadtbezirksbeiräte sind; von Ortschaftsräten und einer Ortschaftsverfassung hatte ich als Kernleipzigerin jedoch noch nie gehört; das gebe ich offen zu. Auch unser alter Antrag und der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen waren mir völlig unbekannt. Ich habe mir daher unvoreingenommen und keiner Partei- oder Fraktionsdisziplin folgend die Frage gestellt, was DIE LINKE mit diesem Antrag erreichen will und ob das sinnvoll ist. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen: Das ist sinnvoll.

Die Ortschaftsverfassung ist das von der Sächsischen Gemeindeordnung vorgesehene Regelwerk, um kommunale Entscheidungen zu dezentralisieren. Der Ortschaftsrat, der direkt gewählt wird, entscheidet per Gesetz über verschiedene Angelegenheiten der Ortschaft: Unterhaltung und Pflege der Park- und Grünanlagen, Reihenfolge der Arbeiten zur Instandsetzung von Straßen, Förderung von Vereinen usw. Dafür erhalten die Ortschaften Haushaltsmittel. Ortschaften haben ein Anhörungs- und Vorschlagsrecht. Per Hauptsatzung können noch weitere Rechte übertragen werden.

Stadtbezirke dagegen sind lediglich Verwaltungsbezirke. Sie dezentralisieren die Verwaltung. Sie werden vom Stadtrat eingesetzt und haben keine Entscheidungsbefugnis. Die Einführung der Ortschaftsverfassung ist nach geltender Rechtslage in Sachsen die einzige Möglichkeit, dass Leipzigerinnen und Leipziger Stadtteilvertretungen direkt wählen können und diese Entscheidungs-, Mitwirkungs- und Selbstverfassungsrechte erhalten.

In der Diskussion wurden bereits einige Argumente angeführt. Bestimmte Bedenken kann ich nachvollziehen; einen Großteil der Argumente fand ich jedoch wenig überzeugend oder völlig absurd.

Zum einen, Herr Oberstadt, die Ortschaftsräte verlieren nicht in ihrer Berechtigung. Sie existieren weiter. Wir haben auch in den früheren Anträgen nie gefordert, dass sie abgeschafft werden sollen. Es soll sie weiterhin geben, und sie werden auch weiterhin ihre Rechte behalten. Nicht behalten sollen sie das Privileg, dass ihnen diese Rechte zugestanden werden, anderen jedoch nicht. Sie werden diese Rechte dann nicht mehr allein haben. Auch die Stadtbezirksbeiräte, die dann ebenfalls „Ortschaftsräte“ heißen sollen, werden diese Rechte erhalten. Bisher gibt es da eine Ungleichheit, die nicht gerechtfertigt ist.

Nun kann man sagen, Ortschaftsräte gebe es nur in ländlichen Gebieten, in denen es einen Ortskern und verschiedene Ortsteile gibt. Ein Stadtbezirk Ost hat das vielleicht nicht. Mag sein, dass ich mich jetzt hier nicht als Ost-Leipzigerin fühle; aber das ist auch nicht relevant. Entscheidend ist: Was sind die Aufgaben, mit denen sich die verschiedenen Gremien beschäftigen?

Es werden auch keine neuen Strukturen geschaffen; denn Stadtbezirksbeiräte gibt es bereits. Aber deren Rechte werden erweitert. Es werden endlich die Möglichkeiten für die Stadtbezirksbeiräte geschaffen, die die Ortschaftsräte schon haben. Niemand hier konnte mir überzeugend erklären, warum die Stadtbezirksbeiräte diese Rechte nicht haben sollen. Die Ortschaftsräte entscheiden und befinden über öffentliche Einrichtungen. Haben wir in den Stadtbezirksbeiräten öffentliche Einrichtungen? Ja, haben wir. Es geht um Baumaßnahmen, zum Beispiel bei Straßen, Wegen und Plätzen. Gibt es in den Stadtbezirken Straße, Wege und Plätze? Ja, gibt es. Es geht um das Ortsbild, um Park- und Grünanlagen. Das alles ist auch in den Stadtbezirken vorhanden. Gibt es Vereine und Verbände nur in den Ortschaften? Mitnichten. Natürlich gibt es sie auch in den Stadtbezirken. Darüber kann ein Stadtbezirksbeirat – dann: Ortschaftsrat – auch befinden. Ich sehe überhaupt kein Problem darin. Heimatpflege und Brauchtum kann dort genauso entschieden werden.

Ich persönlich kann Arbeit abgeben. Ich gebe gern Arbeit ab. Ich gebe auch gern Verantwortung ab. Ich habe damit kein Problem. Deswegen finde ich es in Ordnung, wenn Stadtbezirksbeiräte über die Dinge, die die Menschen in ihrem Umfeld betreffen, weil sie dort leben und dort arbeiten, selber entscheiden können. Das ist relevant und nicht, ob die Ortschaft einen Ortskern hat oder ob sie ländlich geprägt ist. - Sie sehen, das ist ein sehr wichtiges Thema, obwohl es sich zunächst einmal etwas langweilig anhört. Es gibt gute Gründe, das so umzusetzen.

Abschließend zu den Dresdner Erfahrungen. Dort wurden zwei Fehler gemacht: Sie haben die Ortschaftsräte nicht mit einbezogen, und sie wollten die Ortschaftsverfassung gleich auf dem ganzen Stadtgebiet einführen. Dazu hat die Landesdirektion gesagt: das geht so nicht. Das hat der Dresdner Stadtrat zur Kenntnis genommen. Nun wird es 2019. Aber das ist das einzige, was falsch gelaufen ist. Deshalb kann man nicht sagen: aus den Erfahrungen lernen und die Fehler verhindern. Das stimmt einfach nicht.

Frau Opitz, noch eine Frage. Wie hat Ihr Ortschaftsrat zum Antrag der LINKEN entschieden? - Ich kann es Ihnen sagen: Acht zu null zu null.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Rede zum Antrag A-01220 der Fraktion DIE LINKE "Einführung der Ortschaftsverfassung für das gesamte Stadtgebiet Leipzig"