Faire Ausbildung und Arbeit für Menschen mit Migrationsgeschichte

Juliane Nagel

Bundesweit gibt es einen immensen Aufwärtstrend bei erwerbstätigen Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte. Auch in unserer Stadt ist ihre Zahl angestiegen. Messbar ist die Zahl der Beschäftigten ohne deutschen Pass, ihre Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren auf knapp 28.500 Personen vervierfacht. Fakt ist: Sie sind eine wesentliche Stütze für das Funktionieren unserer Stadtgesellschaft und sie sind ein fester Teil davon.

Doch: Viele von ihnen, gerade die niedrig qualifizierten und jene, die aufgrund von Sprachproblemen oder mangelnder Anerkennung von Qualifikationen, sind von Ausbeutung durch Niedriglöhne betroffen. Es fehlt bei Azubis und Beschäftigten zudem Wissen über die eigenen Rechte in der Arbeitswelt. Hinzu kommt rassistische Diskriminierung am Arbeitsplatz.

Vor anderthalb Jahren war ich an der Produktion eines Films beteiligt, der auch im Rahmen der Interkulturellen Woche gezeigt wurde. Hier kamen acht geflüchtete und migrierte Leipziger*innen zu Wort, die über untragbare Verhältnisse an ihren Arbeitsplätzen, bei Momox, Amazon aber auch in kleineren Unternehmen berichteten. Ein Befund der flankierenden Podiumsdiskussion war: Verfasste Beschäftigtenrechte sind oft wenig bekannt und der Mut, sie einzufordern für Menschen mit vielleicht unsicheren Aufenthaltsstatus oft gering.

Mit unserem Antrag wollen wir einen kleinen Beitrag dazu leisten, das zu ändern: Es geht um bessere Information in verschiedenen Sprachen. Wir sehen, dass die Stadtverwaltung mit der Fachkräfteallianz, mit dem Referat für Migration & Integration und vielen Partner*innen in dem Bereich wirklich viel tut, um Zugänge zu Bildung, Ausbildung und Arbeit zu verbessern und Migrant*innen zu empowern und zu unterstützen. Wir wünschen uns eine Bündelung der vielen Informationen – vor allem auch zu formellen Rechten von Auszubildenden und Beschäftigten mit Migrationsgeschichte in verschiedenen Sprachen. Material soll an den verschiedenen Stellen, wie der Bundesagentur für Arbeit, dem Jobcenter, in der Volkshochschule, in Treffpunkten der Communities, an Berufsschulen, Ausbildungsstätten und Unternehmen platziert werden.

Die von uns begehrte Prüfung der Möglichkeit, die städtische Vergabe von Aufträgen an das Vorhandensein einer Betriebs- und Dienstvereinbarung zu Chancengleichheit von Menschen mit Migrationsgeschichte zu knüpfen, sei laut Verwaltung vergaberechtlich nicht möglich – hier müssen wohl andere Ebenen Voraussetzungen schaffen.

Bleibt der dritte, uns nicht minder wichtige Teil unseres Antrages: ein Projekt „Spurwechsel“, mit dem langjährig geduldete Geflüchtete beim Weg in Ausbildung, Arbeit und gesicherten Aufenthalt unterstützt werden sollen.

Zum Jahresende 2023 lebten in Leipzig fast 2000 Geduldete, d. h. Menschen, deren Abschiebung vorübergehend ausgesetzt ist. Viele von ihnen leben bereits seit langer Zeit hier, eine Rückkehr ist unwahrscheinlich. Gleichzeitig sind sie zum Teil von Integrationsleistungen ausgeschlossen, erhalten niedrige Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, dürfen zum Teil nicht arbeiten – ihre Perspektiven sind schlecht. Von der Chancenaufenthaltsregelung wird maximal die die Hälfte der Geduldeten Gebrauch machen können, für einige der bisher knapp über 900 Antragssteller*innen wird es zudem schwierig, nach den 18 Monaten die Anforderungen an einer dauerhaftes Bleiberecht zu erfüllen. Wir schlagen ein Modellprojekt „Spurwechsel“ nach Vorbild des gleichnamigen Projektes der Stadt Potsdam vor: geduldete Menschen sollen so nach einem „Clearingverfahren“ gezielt Integrations- und Qualifizierungsmaßnahmen, sozialpädagogische Betreuung und unter Rückgriff auf Netzwerke der Bundesagentur für Arbeit, Firmen, Beratungs- und Integrationsträger auch Wege in Ausbildung und Arbeit ermöglicht werden. Dies könnte ein sinnvoller Baustein zur Gewinnung von Arbeits- und Fachkräften sein.

Die großen Stellschrauben für bessere Zugänge in Bildung und Arbeit liegen nicht bei uns in der Kommune. Fakt ist, wir müssen vorwärtskommen. Damit Menschen, die nach Leipzig geflüchtet oder migriert sind, schnell auf eigenen Beinen stehen und die Stadtgesellschaft profitieren kann!