Dr. Volker Külow zum Sozialreport: Schere zwischen Arm und Reich muss wieder verringert werden!

Dr. Volker Külow

Seit 2004 gibt die Stadt Leipzig jährlich einen Sozialreport heraus. Im Jahr 2022 erschien nach offizieller Zählung der Verwaltung die nunmehr 15. Ausgabe, also ein kleines Jubiläum, das ich an dieser Stelle hervorheben möchte. Nicht zuletzt, weil mit dem Sozialreport 2022 ein weiterer Schritt hin zum integrierten kooperativen Sozialbericht - wie wir ihn 2020 beantragt hatten – gegangen wird. Neben den jeweiligen Teilkapiteln „Zentrale Entwicklungen und Herausforderungen“ gibt es wieder einige Neuerungen, wie z.B. die Auswertung zur geschlechterspezifischen Verteilung der Haushalts- und Familienarbeit der Leipzigerinnen und Leipziger.    

Angesichts dieser Materialfülle verwundert es nicht, dass der Sozialreport 174 Seiten umfasst, die mit 96 Abbildungen, 15 Karten und 71 Tabellen nicht nur grafisch angereichert sind. Damit ist er nicht nur optisch ansehnlicher, sondern auf jeden Fall auch materialreicher und analytischer als zum Beispiel der Bundesbericht zur deutschen Einheit - ein Vorzug zum Auf- und Ausbauen.
Erneut haben die insgesamt 13 Autorinnen und Autoren um Pia Lorenz und Mario Bischof eine umfangreiche Arbeit geleistet. Allen Beteiligten ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle.

Der Blick in das umfangreiche Zahlenwerk zeigt, wie dicht Licht und Schatten weiterhin in Leipzig beieinanderliegen. Zu letzterem zählen – coronabedingt – über 7.000 Sterbefälle, während die Zahl der Geburten auf 6.252 sank. Das ist das höchste Geburtendefizit seit 2005. Alarmierend ist auch die Leipziger Geburtenziffer, die mit 1,32 je Frau deutlich unterhalb des sächsischen bzw. des bundesdeutschen Durchschnitts liegt. Das war 2010 noch anders. Hier passiert möglicherweise eine Entwicklung, die man genauer analysieren sollte.

Dem Kapitel Lebensunterhalt widmen wir als LINKE bekanntlich immer unsere besondere Aufmerksamkeit. Das ist auch in diesem Jahr so. Erneut beruhen hier alle Schlussfolgerungen auf den Ergebnissen der Kommunalen Bürgerumfrage (KBU), was wir bekanntlich etwas kritisch sehen, da diese u.E. einigen methodischen und statistischen Unschärfen unterliegt. Da diesmal aber fast 10.000 Fragebögen ausgewertet wurden, ist die Datenbasis erfreulicherweise wesentlich breiter und aussagekräftiger. Wie die Ergebnisse der KBU zeigen, stieg das mittlere monatliche Nettoeinkommen in Leipziger Haushalten bis zur Jahreswende 2021/2022 im Vergleich zum Vorjahr um 7,3 Prozent beziehungsweise rund 100 Euro auf 1.590 Euro an. Am unteren Ende der Einkommensskala sind jedoch pandemiebedingt die Verdienste bei vielen Betroffenen geschrumpft. Mit einer Armutsgefährdungsquote von 23,7 Prozent nach bundesweitem Maßstab ist fast ein Viertel der Leipzigerinnen und Leipziger direkt oder indirekt von Armut betroffen. Die Gruppe der 66-bis 69-Jährigen markiert aktuell den Gipfelpunkt dieser erhöhten Armutsgefährdung. Die Altersarmut wird in Leipzig somit in den nächsten Jahren noch weiter ansteigen.

Dass den Leipziger Haushalten trotz Corona mehr Geld zur Verfügung steht, ist natürlich erfreulich. Allerdings ist dies angesichts der rasanten Teuerungen auch dringend notwendig. Die Zuwächse an Einkommen werden durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten sowie die Mieterhöhungen vielfach aufgefressen. Die Umfrageergebnisse verdeutlichen auch: Die soziale Spaltung der Stadtgesellschaft vertiefte sich in den letzten Jahren, Corona wirkte als Katalysator dieser Entwicklung. Während die einkommensschwächere Hälfte der Stadtbevölkerung nur über 30 Prozent der Einkommen verfügt, teilt die einkommensstärkere Hälfte die verbleibenden 70 Prozent der Einkommen untereinander auf. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis für die Stadt und die wirtschaftlich tätigen Unternehmen vor Ort. Diese Schere zwischen Arm und Reich in der Stadt muss wieder verringert werden. Die Einkommen müssen deutlich steigen, die Investitionstätigkeit der Stadt muss auf hohem Niveau fortgesetzt werden. Vor allem müssen soziale Dienstleistungen für Menschen mit niedrigen Einkommen weiterhin bezahlbar sein. Die Beschlussfassung zum Doppel-Haushalt 2023/2024 bietet trotz angespannter finanzieller Lage dazu eine Möglichkeit.

In diesem Sinne sind wir schon ganz gespannt auf den Sozialreport 2023. Entsprechend unseres im Frühjahr 2022 beschlossenen Antrages sollen künftig bei denAngaben zu Erwerbstatus, Einkommensquellen, Einkommenshöhen der einzelnen Personen sowie der Haushalte nicht nur die Ergebnisse der KBU, sondern nach Möglichkeit auch die Datensätze der Bundesagentur für Arbeit, des Jobcenters, der Deutschen Rentenversicherung einbezogen werden. Auch die Referenzbeziehungen des Sozialreports mit der KBU, dem Statistischen Jahrbuch sowie anderen kommunalen Veröffentlichungen wird weiter verbessert. Das ist auch wichtig, denn sowohl die Verwaltung als auch der Stadtrat sind für sachgerechte politische Entscheidungen auf valide Daten und Fakten angewiesen.

Zum Schluss möchte ich die Gelegenheit für ein persönliches Wort nutzen. Bekanntlich hat Prof. Fabian heute ja seine letzte Stadtratssitzung. Hier ist jetzt nicht der Ort und mir kommt es sicher auch nicht zu, seine Verdienste für unsere Stadt ausführlich zu würdigen. Aber ich finde, er hat an dieser Stelle für seine jahrzehntelange erfolgreiche Arbeit zumindest ein großes Dankeschön von allen Stadträtinnen und Stadträten verdient. Er war über einen sehr langen Zeitraum eine zentrale Persönlichkeit der Leipziger Kommunalpolitik, Mit seiner wohlverdienten Pensionierung hinterlässt er eine wirkliche Lücke, die wir vermutlich noch lange spüren werden. Für den neuen Lebensabschnitt wünsche ich Ihnen, Herr Prof. Fabian, viel Glück und vor allem Gesundheit. Insbesondere wünsche ich Ihnen nun genug Zeit und Muße, um die Werke Ihres Idols Bob Dylan zu genießen. Die Gelegenheit, "poetische Neuschöpfungen in der Tradition der amerikanischen Musikkultur" in den Vorlagen der Leipziger Stadtverwaltung unterzubringen, halten sich bekanntlich in engen Grenzen. Deshalb umso mehr: Alles Gute für das Genuss- und Genieß-Duo Bob Dylan und Thomas Fabian.