Diese Herangehensweise ist schlicht rechts- und verfassungswidrig!

Reiner Engelmann

Bislang und nach den mit dem Antrag vorgelegten so genannten „Grundsätzen des UA-MfS für die Bewertung der Auskünfte“ wird auch künftig von den Stadträten im Wesentlichen nach einem einzigen, selbst vorgegebenem Kriterium bewertet. Quasi so, als habe es seit 1990 keinerlei Rechtsprechung zu dieser Problematik gegeben.

Ich möchte mich zunächst dafür bedanken, dass die anderen Fraktionen die PDS gern als Miteinreicher des vorliegenden Antrages für die Bildung eines Bewertungsausschusses sehen wollten.

Weshalb wir das Angebot ausschlagen, bedarf jedoch einer ausführlicheren Erklärung:
Die PDS-Fraktion hat bisher nur in der ersten Wahlperiode der Bildung eines Bewertungsausschusses zugestimmt. Dies war der damaligen Situation geschuldet und es gab weder Erfahrungen noch hinreichende Sachkenntnisse auf unserer Seite, die einen einigermaßen rechtsstaatlichen Umgang mit denjenigen Bürgern garantierten, die mit dem Ministerium für Staatsicherheit der DDR in irgendeiner Form zu tun hatten.
Schon in der ersten Walperiode bildete sich dann die doppelte Zuständigkeit des Ausschusses heraus. Zum einen wurden eingegangene Auskünfte der Gauckbehörde betreffend Bedienstete und Angestellte der Verwaltung bewertet und dem Oberbürgermeister eine Empfehlung zum Umgang mit Betroffenen in diesem Bereich gegeben, zum anderen wurden eingegangene Auskünfte der Behörde des Bundesbeauftragten zu Stadträten bewertet und – bildhaft gesprochen – in dieser oder jener Form „unter die Leute gebracht“.

Bislang und nach den mit dem Antrag vorgelegten so genannten „Grundsätzen des UA-MfS für die Bewertung der Auskünfte“ wird auch künftig von den Stadträten im Wesentlichen nach einem einzigen, selbst vorgegebenem Kriterium bewertet. Quasi so, als habe es seit 1990 keinerlei Rechtsprechung zu dieser Problematik gegeben.
Die Frage, das Kriterium ist: War der Betroffne Mitarbeiter der Staatssicherheit – ja oder nein?
Wird diese Frage bejaht, was gelegentlich schon eine höchst subjektive Entscheidung ist, führt das im Allgemeinen dazu, dass die/der Bedienstete bzw. Angestellte aus der Verwaltung entlassen wird.
Allenfalls wird bei „ja“ vorher noch gewertet, ob die oder der Betroffene kurz mit dem MfS zusammengearbeitet hat, ob private Auskünfte zu Personen gegeben wurden und ob eine Lösung aus der Verwicklung in das MfS von selbst erfolgt ist.

Diese Herangehensweise ist schlicht rechts- und verfassungswidrig!
Sie entspricht nicht einmal dem Wortlaut des Artikels 119 der Sächsischen Verfassung, der immerhin vorschreibt, dass selbst bei Feststellung des Vorliegens einer bewussten und finalen Tätigkeit eine gesonderte Prüfung erfolgen muss, ob die bzw. der Betroffene damit für eine weitere Beschäftigung im öffentlichen Dienst für die Arbeitsaufgabe, die er ausübt, ob als Dezernent oder Hausmeister, untragbar erscheint.Das Bundesverfassungsgericht und der Sächsische Verfassungshof haben festgelegt, dass diese Untragbarkeitsprüfung eine „... nach vorn offene Zukunftsprognose“ beinhalten muss. In ihren einschlägigen Urteilen und Beschlüssen seit 1997 ist festgeschrieben, dass der früheren Tätigkeit für das MfS/AfNS dabei gerade keine überwiegende Bedeutung beigemessen werden darf, sondern vielmehr ausgehend von dem die demokratische Gesellschaft zierenden Grundsatz, dass sich jeder Mensch auch eines Besseren besinnen kann. Gleichwertig zu prüfen ist, welche Entwicklung die/der Betroffene seit Beendigung der Involvierung in die Tätigkeit des MfS/AfNS und speziell in den Strukturen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung genommen hat.

Das ist verbindliche Auslegung, verbindlich für alle Gewalten, für Parlament, Regierung, Behörden und Justiz und – man sollte es nicht glauben – verbindlich auch für den Stadtrat von Leipzig.

Diesem Maßstab aber werden die vorgelegten „Grundsätze“, die die Bewertungsbasis für die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses bilden sollen, handgreiflich nicht gerecht. Das ist der erste Grund, weshalb wir eine Zustimmung zum vorliegenden Antrag ablehnen. An einer Rechtsbeugung beteiligen wir uns nicht.

Der zweite Grund ist ein nicht weniger prinzipieller: Alles, was in diesem Land an Repressivem geschieht, hat nach den in Artikel 20 des Grundgesetzes verankerten Rechtsstaatsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes zu geschehen. Und da steht die Frage, ob nach mehr als 15 Jahren seit der letztmalig denkbaren Involvierung in die Tätigkeit des MfS/AfNS überhaupt noch eine Vorwerfbarkeit für Handlungen im MfS-Zusammenhang besteht, wenn diese nicht mit der Begehung schwerster Straftaten vergleichbar sind. Selbst schwere Strafdelikte wie Raub, gefährliche Körperverletzung und Einbruchsdiebstahl sind bekanntlich nach 15 Jahren längst verjährt, Totschlag nach 20 Jahren.

Was die Stadträte der PDS betrifft, möchte ich nun zum wiederholten Mal mitteilen, dass diese bei ihren Kandidaturen aufgefordert sind, über ihr Biografie Auskunft zu geben, dazu gehört auch eine MfS-Mitarbeit. Dies geschieht öffentlich.Seither hat keiner der PDS-Stadträte eine solche Mitarbeit verschwiegen und wir sind uns sicher, dass es auch diesmal so sein wird.