Auf zu neuen Ufern am Goerdelerring

Siegfried Schlegel

Die Fraktion DIE LINKE akzeptiert und unterstützt die kostenintensiven innerstädtischen Gewässerfreilegungen nur dann, wenn sie der Stadt für heute und morgen einen Zugewinn bringen und wenn sie für Bewohner und Gäste attraktiv und uneingeschränkt erlebbar sind. So wie die heutige Bevölkerung und ihre Gäste nicht wie im Mittelalter in Lehmkaten wohnen wollen, sollten gleiche Maßstäbe auch an den Gewässererhalt und -ausbau angelegt werden. Die meisten innerstädtischen Fließgewässer sind Kunstgewässer, die entweder vollständig neu gestaltet, zumindest aber in der Vergangenheit den jeweiligen  Bedürfnissen angepasst wurden. Die Bezeichnungen wie Mühlgraben oder Floßplatz bezeugen dies. Historische Stadtpläne belegen, dass es auch entlang des Goerdelerrings einen die  Stadtwehranlagen begleitenden Graben gab. Somit kann die neue Trasse die Erinnerung an beide Gewässerläufe wachhalten, ohne in das Ringgrün einzugreifen. Die Gewässerführung des Pleißemühlgrabens war in der Vergangenheit wiederholt Thema intensiver Fachdiskussionen – so bereits 1992 in einem Hochhausworkshop,  1994 im Rahmen eines städtebaulichen Realisierungswettbewerbes, 2012 im Gestaltungsforum sowie im Rahmen von Stadtratsentscheidungen zur Sanierung der Hauptfeuerwache. Schon 1994 gab es einen Entwurf, der vorschlug, den Pleißemühlgraben mitten durch das Hochhaus durch eine Öffnung zu führen. Technisch ist das zwar machbar, aber  die immensen Mehrkosten für Fundamente und im Rohbau sind wirtschaftlich nicht zumutbar.  Daher ist es schlichtweg gelogen, Fachpolitikern, die an all den Beratungen teilgenommen haben, zu unterstellen, sie hätten sich nicht mit der Thematik befasst. Angesichts von Zusatzkosten in zweistelliger Millionenhöhe sowie der aktuellen Herausforderungen beim Kita- und Schulbau muss es vorrangiges Ziel sein, dass die vorgesehene Lösung der Stadt langfristig vielfältigen Zugewinn bringt und mit grünen Ufern attraktiv und uneingeschränkt erlebbar ist. Auf eine 70%-ige Förderung zu verweisen, ist unredlich, da auch dieser Kostenanteil von den Steuerzahlern  aufzubringen wäre. Zu Recht könnten viele sagen, die Leipziger spinnen oder anders gesagt, Größenwahn ohne Augenmaß. Dabei zeichnete  Leipzig in den zurückliegenden Jahren Augenmaß auch bei Großprojekten aus.                                                                                             Für eine Wohnbebauung an einer verkehrsbelasteten Straße ist eine begrünte, vielfältig nutzbare Hoffläche gleichberechtigter Anspruch wie in anderen Wohnquartieren. Ebenso berechtigt ist das Interesse der LWB an einer  Bebauung in einem lärmabgeschirmten Hof, eventuell mit einer Kita. Deshalb kann Geschichte nicht alleiniger Maßstab sein, dem tunnelblickartig alles unterzuordnen ist. Und ich warne davor, die Nutzungsanforderungen der Hauptfeuerwache als Feuerwehrstützpunkt  für das Zentrum und die Stadtteile zu unterschätzen. Der Gesetzgeber fordert zu Recht Eingriffszeiten für Feuerwehr und Rettungsfahrzeuge von unter 10 Minuten.  Hubschrauberlandeplatz, Garagenplätze für Spezialrettungsfahrzeuge und Werkstätten in zentraler Lage können ganz schnell überlebensnotwendig werden, um so mehr vor dem so oft bemühten Hintergrund der wachsenden Stadt. Und die Abwägung der zusätzlichen Baukosten in Höhe von 12,5 Mio. Euro zur Möglichkeit, für die gleiche Summe 600 bis 700 Kitaplätze zu schaffen, sollte schon erlaubt sein.

Billig in Hinsicht auf Erlebbarkeit und Kosten wäre eine Sanierung des unterirdischen Flussabschnitts, wodurch  am Dittrichring das Ringgrün erhalten würde. Doch Verwaltung, Stadtrat und Stadtgesellschaft sind sich einig, dass der Pleißemühlgraben zwischen Käthe-Kollwitz-Straße und Goerdelerring in Offenlage gebaut werden soll. Aber allein diese Vernunftsvariante kostet  schon 18,5 Mio. Euro, was vergleichsweise 900 Kita-Plätzen entspricht. Wo bleibt der Aufschrei der Stiftung für Baukultur, wenn ein in Deutschland einmaliges Gebäude der Bauhaustradition an einem solch prominenten Standort mit notwendigen eingeschossigen Hallen zur Schauseite der Stadt verbaut wird.

Sehr geehrte Stadtratskolleginnen und –kollegen, wir sind der Auffassung, dass Flussläufe für die Leipziger und Gäste unmittelbar erlebbar sein sollen und nicht über Hinterhöfe zwischen privaten Grundstücken geführt werden. Ebenso soll das Hochhaus Goerdelerring unmittelbar am Straßenrand stehen. Deshalb soll es auch am Goerdelerring heißen:  Auf zu neuen Ufern und einseitiges Denken überwinden!  Bleibt zu wünschen, dass es eventuell einem Leipziger Büro beim Architekturwettbewerb für die Gestaltung des Gewässerlaufs gelingt, den Entwurfsauftrag zu erhalten.

Rede zur Drucksache DS 5826 „Offenlegung Pleißemühlgraben zwischen Käthe- Kollwitz-Straße und Ranstädter Steinweg – Trassenfestlegung“