Dass wir ein Defizit an Krippenplätzen haben, lässt sich auch nicht mehr durch schöne Worte des Beigeordneten wegreden

Rüdiger Ulrich

Nachdem der Versuch des Beigeordneten Herrn Jung, die Angebotsstruktur für Kinder unter 3 Jahren über Zugangskriterien zu steuern, am politischen Willen des Stadtrates gescheitert ist, sollen Angebot und Nachfrage nun über neue Steuerungselemente reguliert werden.

Obwohl selbst in große Finanznöte hat die Bundesregierung versprochen mehr Krippenplätze zu schaffen, um die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf zu ermöglichen bzw. zu sichern.
Die Bundesregierung hat offenbar den unmittelbaren Zusammenhang zwischen umfassender Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung insbesondere von Müttern erkannt. Gestützt wird diese Erkenntnis durch ein Gutachten, welches das Bundesministerium für Familie in Auftrag gegeben hat.

Ziel ist es, bundesweit eine Betreuungsquote von 20 % zu erreichen (gegenwärtig liegt diese bei knapp 8 %). Scheinbar haben einige Landes- aber auch Kommunalpolitiker, insbesondere in Ostdeutschland, die Zielstellung so verstanden, dass sie nun die von den Bürgerinnen und Bürgern gewünschte traditionelle hohe Betreuungsquote in den ostdeutschen Kommunen (37 %) in Richtung dieser Zielquote herunterfahren. Leipzig macht da keine Ausnahme.

Nachdem der Versuch des Beigeordneten Herrn Jung, die Angebotsstruktur für Kinder unter 3 Jahren über Zugangskriterien zu steuern, am politischen Willen des Stadtrates gescheitert ist, sollen Angebot und Nachfrage nun über neue Steuerungselemente reguliert werden. Dabei sehen wir es durchaus als begrüßenswert an, dass über mehrjährige Leistungsverträge, durch weniger Regularien, durch Budgetierung und durch Immobilienverantwortung die Träger von Kindertagesstätten in die Lage versetzt werden sollen, flexibler als bisher bei der Bereitstellung von Kindertagesstättenplätzen agieren zu können, wobei wir erwarten, dass auch die kommunalen Einrichtungen in dieses Pilotprojekt einbezogen werden.

Die Euphorie des Beigeordneten für Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule, dass mit diesem neuen Modell das Defizit, speziell an Krippenplätzen, in der Stadt entscheidend korrigiert wird, teilen wir nicht. Im Gegenteil, wir kommen zu dem Eindruck, dass dies gar nicht gewollt ist. Die Tatsache, dass Kindergartenplätze zu 100 %, Tagespflegeplätze gar zu 200 %, Krippenplätze aber lediglich zu 95 % finanziert werden, lässt eine andere Interpretation nicht zu. Was soll einen Träger veranlassen, zusätzlich Krippenplätze zu schaffen, wenn er für dieses Angebot Eigenmittel aufwenden muss? (siehe Änderungsantrag)

Zur Favorisierung der Tagespflege sei an dieser Stelle nur kurz bemerkt, dass damit der Abbau von Qualitätsstandards der mit der neuen Kindertagesstättengesetzgebung eingeleitet wurde, nun in die Praxis umgesetzt wird. Nebenbei bemerkt: Die Durchführungsbestimmungen für Tagespflege fehlen bis zum heutigen Tag. Natürlich werden neben den Eltern, die die Tagespflege aus verschiedensten Gründen bewusst wählen, letztendlich auch Eltern mangels Alternativen, sprich fehlende Krippenplätze, zu diesem Angebot greifen müssen. Das Wunsch- und Wahlrecht, siehe § 4 Kita-Gesetz, wird damit in Frage gestellt.
Und dass wir ein Defizit an Krippenplätzen haben, lässt sich auch nicht mehr durch schöne Worte des Beigeordneten wegreden.

Einige Fakten dazu: Obwohl die bedarfsgerechte Versorgung von Kindern unter 3 Jahren im Kindertagesstättengesetz vom Gesetzgeber als Pflichtaufgabe definiert wird, wird in der Stadt nur noch ein Grundangebot vorgehalten, die Bedarfsquote für die Krippenplätze wird erst gar nicht mehr erfasst. So sind in nahezu allen Stadtbezirken, Ausnahmen gibt es lediglich in Paunsdorf und Grünau, alle Krippenplätze voll ausgelastet. Lange Wartelisten bestimmen das Bild. „Bedarfsgerecht im Sinne des Gesetzes ist ein Angebot nur dann, wenn es geeignet ist, die Nachfrage zu befriedigen.“ Dies wurde uns in einem Rechtsstandpunkt noch einmal bestätigt. Das Angebot der Stadt entspricht diesem Anspruch nicht. Auch wenn der Beigeordnete Zufriedenheit über die Angebotsstruktur in der Stadt Leipzig äußern, wir sind es nicht und viele Eltern auch nicht.

Dabei ist absehbar, dass sich die Probleme weiter verschärfen werden. Entsprechend der Bevölkerungsvorausschätzung steigen die Geburten in den nächsten 10 Jahren glücklicherweise weiter an. So bereitet auch die Sicherung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz für Kinder über 3 Jahre zunehmend Probleme. Hier sieht es so aus, dass es gegenwärtig in vier von zehn Stadtbezirken noch nennenswerte freie Platzkapazitäten gibt. (Vom Kriterium der wohnortnahen Versorgung mit Kita-Plätzen hat sich die Stadtverwaltung damit nun endgültig verabschiedet. – Stadtratsbeschluss: Fußweg von Mutter/Vater mit Kind nicht länger als 20 Minuten)
In spätestens zwei Jahren werden diese letzten Reserven aufgebraucht sein. Ja, es wird sogar so sein, dass die Plätze auch im Kindergartenbereich, dort wo ein Rechtsanspruch besteht, nicht mehr reichen. Also wird weiter auf die Krippenplätze zurückgegriffen, was letztendlich dazu führt, dass der Versorgungsgrad von Kindern unter 3 Jahren immer weiter heruntergefahren wird. Ob das im Sinne der Familienpolitik der Bundesregierung ist, darf bezweifelt werden.

Herr Jung, wenn Sie auch die Vergabe von Kita-Plätzen den jeweiligen Trägern der Einrichtungen übertragen wollen, der Anspruch auf den Besuch einer Kindertagesstätte richtet sich nach wie vor gegen den örtlichen Träger – die Stadt Leipzig. (siehe § 3 (1) SächsKitaG). Sie haben weiterhin die Verantwortung. Wie wollen Sie diesem Anspruch in den kommenden Jahren gerecht werden? Die Kindertagesstättenplanung und auch Ihr neues Modell geben auf diese Frage keine zufriedenstellende Antwort.
Wir fordern deshalb von Ihnen ein, dass Sie noch im I. Quartal des kommenden Jahres ein Entwicklungskonzept für Kindertagesstätten dem Stadtrat vorlegen. Ziel muss es sein, eine bedarfsdeckende Versorgung für Kinder vom ersten bis zum zehnten Lebensjahr in Kindertagesstätten zu sichern. Beinhalten muss dieses Konzept Vorstellungen zur mittelfristigen Sanierung von Kindertagesstätten sowie Überlegungen dazu, wie das Verhältnis wohnhafte Kinder zu verfügbaren Plätzen deutlich verbessert werden kann. Auch mögliche Neubauten in besonders defizitären Stadtbezirken müssen in die Überlegungen einbezogen werden. (Im Moment werden entsprechende Initiativen von Investoren bzw. Ortschaften eher behindert als vorangetrieben.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss einige Punkte aus der Zusammenfassung der schon erwähnten Studie des Familienministeriums nennen:

· Die Studie hat die These belegt, dass eine zeitlich umfassendere institutionelle Kinderbetreuung nicht nur mit einer höheren Erwerbsbeteiligung der Mütter verbunden ist, sondern gleichzeitig mit einer höheren Qualität der Erwerbstätigkeit gemessen am Einkommen der Mütter.

· Der Ausbau ganztägiger Betreuungsangebote – hier speziell in Westdeutschland – würde volkswirtschaftlich nicht nur zu einer höheren Wertschöpfung der Mütter, sondern dadurch auch zu höheren Einnahmen für die öffentlichen Haushalte führen. Im Umkehrschluss für Ostdeutschland bedeutet das, weniger Betreuungsangebote - geringere Wertschöpfung der Mütter – geringere Einnahmen für die öffentlichen Haushalte.

· Es spricht einiges dafür, dass die derzeitige Struktur der Kinderbetreuungseinrichtungen das Erwerbspotenzial limitiert und einem Abbau sozialer Ungerechtigkeiten entgegensteht.