Das Virus ist nicht demokratisch!

Dr. Volker Külow

Der vorliegende Antrag entstand im Frühjahr 2021 und trägt deutlich die Handschrift der damals vakanten, schwer zu prognostizierenden Situation, die politisch und fachlich Handelnde und die Adressaten gleichermaßen betraf. Diese möchte ich daher kurz in Erinnerung rufen, um unsere seinerzeitigen Intentionen nochmals zu verdeutlichen.

Vor sechs Monaten wurde zunehmend klarer, dass die Coronapandemie einerseits uns alle betrifft, aber nicht alle gleich hart. Das Virus war und ist nicht demokratisch, seine Wirkung ist alles andere als gleichförmig. Vielmehr prägen soziale und wirtschaftliche Ungleichheit den Verlauf der Infektion massiv. Demnach haben Menschen ein umso höheres Risiko an Corona zu erkranken und ggf. zu versterben, je niedriger ihr sozioökonomischer Status ist. Dafür liegen inzwischen gesicherte Studien auf einer breiten Datenbasis vor.

Die Ursachen dafür sind offenkundig: armen Menschen fehlt oftmals die soziale Absicherung, um coronabedingte Mehrausgaben wie Masken, Desinfektionsmittel oder Schnelltests zu tragen; sie leben zumeist in engen Wohnungen, nutzen den ÖPNV statt Privat-PKW und befinden sich oft in prekären Arbeitsverhältnissen mit Präsenzpflicht und hoher Kontaktdichte. Damit wird klar: „Social Distancing“ muss man sich leisten können.

Im Frühjahr 2021 kamen in Auswertung der zweiten Welle erste Forschungsergebnisse in die Öffentlichkeit, die diese Zusammenhänge untersucht und signifikante Zusammenhänge zwischen Coronaverbreitung und Armut nachwiesen. In einigen westdeutschen Großstädten wie z.B. Bremen, Duisburg und Köln gab es darüber hinaus entsprechende kleinräumliche Studien, um zu untersuchen, inwieweit benachteiligte Stadtteile und die dort lebenden Menschen von Corona besonders betroffen sind. Auch hier wurden entsprechende Korrelationen nachgewiesen. Zum Glück sollte sich die Lage in Leipzig später als deutlich homogener erweisen. Gleichwohl stehen brennende Fragen angesichts der extrem gespreizten Leipziger Einkommenssituation im Raum.
 

Die Politik reagierte u.a. dadurch, dass das mobile Impfen - wie in unserem Antrag im 1. Punkt gefordert - vor Ort eingeführt und forciert wurde. Auch in Leipzig kamen zunehmend mobile Impfteams jenseits von Pflegeheimen und Gemeinschaftsunterkünften zum Einsatz. Wir erinnern uns an die entsprechenden Anfänge in der „Langen Lene“ und in Grünau. Heute ist das Impfen ohne Termin an vielen Stellen in unserer Stadt möglich und trägt zur Erhöhung der Impfquote merklich bei. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, neben Sozial- und Gesundheitsamt vor allem dem DRK und dem Kommunalen Eigenbetrieb Engelsdorf (KEE) sowie allen anderen Beteiligten, die an der Umsetzung dieser Impfstrategie erfolgreich mitwirkten und weiter mitwirken, ein ganz herzliches Dankeschön zu sagen. 

Leider haben wir bis heute weder einen Gesamt- noch einen kleinräumlichen Überblick über die Geimpften und Genesen in Leipzig sowie über einzelne Alterskohorten oder besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen. Das ist sehr bedauerlich, allerdings trägt die Verwaltung dafür keine Schuld, sondern die Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen, die über die entsprechen Daten verfügt, sie aber trotz wiederholter Bitten seitens der Stadt leider nicht rausrückt. Diese Geheimniskrämerei ist unerträglich, weist doch das tägliche Bombardement mit den Adjektiven „kleinräumig“, „niederschwellig“, „flächendeckend“ darauf hin, dass effizientes Handeln ein Gebot der Stunde ist und keinen künstlichen, engstirnigen Aufschub duldet.
Somit stochern wir beim Analysieren des konkreten Pandemieverlaufs in Leipzig bedauerlicherweise ziemlich im Nebel. Damit sind auch die Möglichkeiten der Verwaltung objektiv sehr eingeschränkt, unserem Antrag umfänglich Rechnung zu tragen; zugleich wurde vieles in den letzten sechs Monaten auch schon in Angriff genommen bzw. umgesetzt. Die im Verwaltungsstandpunkt vorgeschlagenen beiden Alternativpunkte akzeptieren wir. Insbesondere sind wir auf das spezielle Kapitel zum Verlauf der Coronapandemie in Leipzig im Sozialreport 2021 sehr gespannt. In diesem Sinne übernehmen wir den Verwaltungsstandpunkt und stellen ihn zur Abstimmung.          

Wir tun dies auch aus der Einsicht heraus, dass die Pandemie längst noch nicht überwunden ist, sondern in einer nicht auszuschließenden erneuten Zuspitzung des Rückgriffs auf bewährte Handlungsmuster und Verfahren bedarf.