Chancen für eine solide kommunale Beschäftigungspolitik wurden nicht genutzt

Wolfgang Denecke

Im vergangenem Jahrzehnt haben sich die bundesweite und Leipziger Öffentlichkeit, die Verwaltung der Messestadt und die Mitglieder des Stadtrates immer wieder mit dem bfb auseinander setzen müssen.

Im vergangenem Jahrzehnt haben sich die bundesweite und Leipziger Öffentlichkeit, die Verwaltung der Messestadt und die Mitglieder des Stadtrates immer wieder mit dem bfb auseinander setzen müssen. Insbesondere in den letzten drei Jahren hat sich die Situation des Eigenbetriebes und die Diskussion um die Beschäftigungspolitik Leipzigs zugespitzt. Zum einen leisteten die über 22.000 Mitarbeiter unbestritten eine nicht hoch genug zu würdigende Leistung. Ohne ihren Fleiß wären viele Dinge in Leipzig nicht möglich gewesen. Sie nutzten ihre Chance nicht nur zum Broterwerb, sondern fanden wieder zu Selbstbewusstsein und Selbstachtung. Das würdigen wir ausdrücklich.
Andererseits müssen wir heute feststellen, dass die Chancen für eine solide kommunale Beschäftigungspolitik in Leipzig nicht genutzt wurden und wir nun in bezug auf den bfb vor einem Scherbenhaufen stehen.
Trotz allen Gegensteuerns verschlimmerte sich die Situation auf dem Leipziger Arbeitsmarkt. Sie muss dramatisch genannt werden. Die Zahl der Arbeitslosen ist die höchste seit 12 Jahren und liegt deutlich über dem sächsischen Durchschnitt. Leipzigs Negativrekord von 46.496 Arbeitslosen im Januar 2003 zeigt, die Arbeitslosigkeit verstetigt sich. Die Verantwortung für diese Entwicklung liegt letztendlich beim OBM. Er hat bei seiner Wahl 1998 vertreten, dass sein Hauptziel in der deutlichen Verringerung der Zahl der Leipziger Arbeitslosen, die damals bei ca. 30.000 lag, bestehen würde.
Gegenüber diesem selbst formuliertem Anspruch haben wir unsere heutige Diskussion einzuordnen.
Der vorliegende Bericht zeigt, dass die Chancen, in Leipzig eine langfristig und konzeptionell untersetzte kommunale Beschäftigungspolitik zu etablieren, vertan wurden. Trotz vollmundiger Bekenntnisse zum Betrieb für Beschäftigungsförderung sind Hinweise, Warnungen zur kritischen Situation und Vorschläge zu deren Veränderung durch die Verantwortlichen nicht oder nur unzureichend wahrgenommen und umgesetzt worden. Auf der Personalversammlung im November 1999 in der Kongresshalle erklärten Sie, Herr Tiefensee, vor 3.000 Mitarbeitern: "Eine Zerschlagung des bfb wird es mit mir nicht geben." Die Stadt Leipzig und ihr Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee stehen voll hinter dem Betrieb für Beschäftigungsförderung und seinen Mitarbeitern. (Zeitung bfb Dezember 1999)
Hätten Sie die zu diesem Zeitpunkt bekannten Vorschläge zu den dringend notwendigen Veränderungen im Unternehmen ernst genommen, wäre vielleicht noch en Umsteuern möglich gewesen.
Wenn ich aber heute Ihre Stellungnahme zum Bericht höre, weiß ich, warum die Chance nicht genutzt wurde. Kaum ein Wort der Selbstkritik. Wenn der bfb so vorbildlich war – warum gab es keine Kopie des Betriebes in anderen Städten? Hausgemachte Ursachen des Scheiterns werden ausgeblendet. Wenn nur die Rahmenbedingungen die Schuld an der entstandenen Situation sind, wieso arbeitet dann der Kommunale Eigenbetrieb Engelsdorf so erfolgreich? Aber Sie ließen zu, dass weiterhin Zeit verloren wurde und am Ende nur noch die bittere Entscheidung, den bfb zu schließen, getroffen werden musste.
Selbst noch im September 2002, als bereits der Zeitweilige Ausschuss arbeitete, verwiesen Sie, Herr Oberbürgermeister, anlässlich der Eröffnung eines der ersten JobCenter mit dem damaligen Bundesminister Riester auf die mit dem bfb gesammelten guten Erfahrungen. Unter anderem durch sie komme der Messestadt eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung des Hartz-Konzeptes zu. Besonders pikant ist diese Aussage angesichts der Tatsache, dass bereits in der Verwaltung an den Vorlagen zur Schließung gearbeitet wurde.
Unverständlich und nicht nachvollziehbar ist das konzeptionslose Agieren seit Gründung des bfb. Auch dazu erhielt die Rathausspitze zahlreiche Hinweise. Erinnert sei nur an die Thesen der BBVL zur kommunalen Beschäftigungsförderung vom Januar 1997. In These 1 wird die Forderung erhoben „eine politische Entscheidung darüber, mit welchen Zielen, in welchem Unfang und in welcher Form sich die Stadt auf dem 2. Arbeitsmarkt langfristig engagieren will“, als strategische Entscheidung zu treffenGerade auch darin sehen wir eine Hauptursache des Scheiterns. Das ist um so unverständlicher, als immer wieder zum Ausdruck gebracht wurde, etwas für die betroffenen Menschen langfristig zu tun.
Auch von dem dann endlich im Dezember 2001 beschlossenen Konzept "Zur Neuorientierung ..." ist letztlich nur die Abwicklung des Unternehmens übriggeblieben. Aus- und Herumreden zu Fraktionsanfragen, Anträgen zu diesem Thema dominierte im Stadtrat. Das hat nun hoffentlich ein Ende.
Wir erwarten, dass mit der heutigen Beratung die Basis für eine solide intelligente, aktive und effiziente Arbeitsmarktpolitik auch unter veränderten Rahmenbedingungen gelegt wird.
Uns ging und geht es um eine offene und kritische Auseinandersetzung mit der eingetretenen Situation. Der aufgrund seiner sozialen Aufgabe beständig im Blickfeld der Öffentlichkeit befindliche kommunale Eigenbetrieb ist im Laufe seiner Entwicklung zu einem Großbetrieb angewachsen. Die inneren Strukturen gerieten jedoch zusehends in Konflikt zu dieser Entwicklung und entzogen sich mehr und mehr der Einflussnahme durch die Stadtverwaltung. Bis Ende der neunziger Jahre war der bfb zu einem Staat im Staate geworden. Ohne ein ausreichendes Belegwesen wurde mit Fördermitteln der Bundesanstalt für Arbeit, des Europäischen Sozialfonds sowie Zuschüssen der Stadt in Millionenhöhe jongliert. Wiederholte Mahnungen von außen (auch unserer Fraktion), das Rechnungswesen des Unternehmens durch die Einführung einer qualifizierten und nachvollziehbaren Kostenrechung, einer kostendeckenden Preiskalkulation und der Klärung des Verlustausgleiches durch die Eingliederung defizitärer Bereiche in den bfb u. v. m. wurden von der Betriebsleitung ignoriert bzw. nur halbherzig befolgt. Fehlende Kostenrechnung und keine kostendeckenden Preise sind gravierende Mängel, die jedes Unternehmen an den Rand des Untergangs führen müssen. Jede Geschäftsführung eines x-beliebigen Unternehmens, die dies zugelassen hätte, wäre wegen Unfähigkeit zur Verantwortung gezogen worden. Auf diese gewollte Intransparenz wurde die Verwaltungsspitze immer wieder hingewiesen. Genannt seien die Berichte der Wirtschaftsprüfer, des Leipziger Rechnungsprüfungsamtes, des Staatlichen Rechnungsprüfungsamtes Wurzen, der BBVL und nicht zuletzt der Stadtrat. Diese Alarmsignale wurden entweder immer wieder relativiert, vom Tisch gewischt oder führten zu keinen Veränderungen. Mit anderen Worten, diese gravierenden Verstöße gegen Grundsätze kaufmännischen Verhaltens wären ohne Duldung durch die Rathausspitze nicht möglich gewesen. Zudem bewahrheitete sich in den letzten Monaten, was immer wieder unterschwellig diskutiert wurde. In den vergangenen Jahren wurden wesentliche demokratische Spielregeln verletzt. Die Eigenmächtigkeiten der bfb-Leitung sind weitgehend unter Verletzung der Informationspflicht des Stadtrates und des Betriebsausschusses gedeckt worden. Die Hauptverantwortung hierfür tragen Sie, Herr Beigeordneter Müller. Der Bericht zeigt, Sie haben dem Stadtrat wichtige Unterlagen zum Geschäftsgebaren im bfb vorenthalten und Entscheidungshilfen ignoriert. Es steht die Frage: War das eine bewusste Täuschung oder Unbedarftheit? Haben Sie sich – wie auch andere Funktionsträger – von der Betriebsleitung einbinden lassen?
Wie die Antwort auch ausfallen möge: Diese Art und Weise des Vorgehens ist nicht akzeptabel. Die Stadträte sind keine Statisten, denen ein Dezernent als selbsternannter Regisseur und Drehbuchschreiber irgendwelche Nebenrollen – und noch ohne Text – zuweist.
Und dasselbe gilt für die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Die Transparenz der Politik und damit die Offenheit der Absichten ist die erste und wichtigste Voraussetzung für eine wirklich bürgerorientierte Kommunalpolitik. Aber auch Sie, Herr Bürgermeister Kaminski, haben trotz gegenteiliger Bekundungen Ihren Anteil. Ihre Forderung nach Einführung der Kostenträgerrechnung blieb folgenlos. Der Verweis auf Begründungstexte mag zwar beruhigen, aber ändert nichts daran, dass die Veränderungen verschleppt wurden. Entscheidend sind die gefassten Beschlüsse und deren Umsetzung.
Deutlich möchte ich an dieser Stelle sagen, natürlich müssen wir auch über unsere Rolle als Stadträte in diesem Zusammenhang reden. Zunächst nehme ich für meine Fraktion in Anspruch, dass wir den bfb, wie auch die gesamte Beschäftigungspolitik Leipzigs kritisch, aber auch immer konstruktiv begleitet haben. Genannt seien hier Haushaltsreden, Anträge, Anfragen, Wirken im Betriebsausschuss und die Zusammenarbeit mit Trägern der Beschäftigungspolitik u. v. a. m. Nicht zuletzt ist der Zeitweilige Ausschuss auf Antrag der PDS-Fraktion gemeinsam mit anderen Fraktionen beschlossen worden. Natürlich haben wir gemeinsam mit anderen Fraktionen des Stadtrates gehandelt.
Aber bei aller Einflussnahme hat auch uns die notwendige Konsequenz gefehlt, erkannte Unzulänglichkeiten konsequent zu verändern, Informationsdefizite zu beseitigen und die Verantwortlichen zur Wahrnahme ihrer Aufgaben zu zwingen.
Manch einer verweist in diesem Zusammenhang auf Zwänge, insbesondere auf sozialpolitischem Gebiet, auf die Notwendigkeit unbedingt den von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen zu helfen. Aber selbst als wir ahnten und zum Teil sahen, welche Probleme im bfb anstehen, haben wir noch versucht, dem Unternehmen eine langfristige Perspektive zu ermöglichen und an dessen Zukunft geglaubt. Nun erleben wir nach Veröffentlichung des Berichtes unterschiedliche Reaktionen. Zum einen das kritische Hinterfragen der eigenen Arbeit mit dem Ziel, Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber auch Reaktionen, die die dargestellten Ergebnisse verunglimpften und dem Ausschuss und insgesamt dem Stadtrat unlautere Ziele unterstellen. Insbesondere wird eine einseitige Betrachtungsweise und die Nichtanhörung früherer im bfb wirkender Akteure vorgeworfen. Dieses Misstrauen – seien wir ehrlich – ist berechtigt. Wie bereits angeführt, wurden die bfb-Mitarbeiter ob der tatsächlichen Lage und der Zukunft ihres Betriebes in den vergangenen und speziell in den letzten Jahren durch die Verantwortlichen nicht mit Transparenz und Ehrlichkeit beglückt. Im Bewusstsein der eigenen Mitverantwortung für das immer näher rückende Ende des Unternehmens war bei den politisch Verantwortlichen durchwursteln angesagt. Ein ganzes Bündel von Stadtratsvorlagen liegen vor, mit denen auch viel Nebel erzeugt wurde, um von den tatsächlichen Ursachen des beschäftigungspolitischen Dilemmas in Leipzig abzulenken. Misstrauen ist vor allem bei denen entstanden, die von der bfb-Schließung zum 31. März betroffen sind. Die an den Ausschuss gerichteten Anwürfe gehen jedoch fehl. Der Ausschuss war kein Untersuchungsausschuss, seine Aufgabe hatte Dr. Tippach bei der Einbringung des Berichtes dargelegt.Wenn es zudem auf nostalgische Verklärung einstiger Glanzzeiten im bfb und die Glorifizierung des damaligen 1. Betriebsleiters hinausläuft, dient es genauso wenig der Wahrheitsfindung wie das vergangene Taktieren der Rathausspitze. Herr Oberbürgermeister, Sie sind jetzt am Zuge und nicht der Zeitweilige bfb-Ausschuss . Sie müssen auf diejenigen zugehen, die sich durch den Bericht angegriffen fühlen und für Aufklärung sorgen. Gelingen kann das allerdings nur, wenn wir uns alle zu diesem Bericht bekennen und Klarheit für das weitere Handeln schaffen.