Menschen, die besonders von der Krise belastet sind, unterstützen!

Dr. Volker Külow

Seit Beginn der Pandemie haben wir in den vergangenen 15 Monaten einige erfolgreiche städtische Hilfspakete in Leipzig geschnürt, darunter für Kulturschaffende, Freiberufler und Solo-Selbstständige. Für die ca. 55.000 Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV wurde hingegen noch kein einziger Beschluss gefasst. Ich erinnere in diesem Kontext an unseren Antrag „Keine Zwei-Masken-Gesellschaft in Leipzig“, den wir in der letzten Stadtratssitzung zur Abstimmung stellten. Leider wurde er nach einer überraschend emotional geführten Debatte fraktionsübergreifend abgelehnt - nicht zuletzt deshalb, weil einige Stadträt:innen augenscheinlich in ihrer Jugend nicht genügend Max Weber studiert haben, sonst hätten sie sicher den gravierenden Unterschied zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik verstanden.

Aber keine Angst, heute geht es weniger soziologisch zu. Was jedoch zur letzten Sitzung gleich bleibt, ist unser linker sozialer Grundansatz. Erneut wollen wir mit einem Antrag gerade denjenigen Menschen, die besonders hart von der Corona-Krise betroffen sind, unkompliziert helfen. Deswegen trägt unser Antrag auch den programmatischen Titel „Armut hat ein Gesicht: Vulnerable Menschen im SGB II-Bezug in der Pandemie unterstützen“. Worum geht es konkret?

Im ersten Punkt beantragen wir, dass sich die durch uns gewählten kommunalen Mitglieder und der Oberbürgermeister in der Trägerversammlung des Jobcenters dafür einsetzen, dass die Geschäftsführung des Jobcenters die Mehraufwandsentschädigungen für 1-Euro-Jobs, die sogenannten AGH-MAE, für Arbeitslose von derzeit 1,75 Euro auf 2,50 Euro je Stunde rückwirkend zum 1. Januar 2021 erhöht, um pandemiebedingte Mehrbelastungen der Menschen abzumildern. Darüber hinaus sollen die Mehrbedarfe für die Kosten von medizinischen bzw. FFP2-Masken übernommen werden. Zu den MAE sollte der Stadtrat wissen, dass deren Höhe von 2013 bis 2018 1,50 Euro betrug und 2019 durch eine von der CDU angeregte Initiative des Stadtrates auf 1,75 Euro stieg, obwohl die Mehrheit des Stadtrates den Bedarf schon damals bei 2 Euro pro Stunde sah. Dresden hat bereits seit dem 1. Januar 2020 eine Entschädigungshöhe von 2 Euro je Stunde beschlossen.

Die jetzt von uns angestrebte Erhöhung um 75 Cent pro Stunde halten wir angesichts der pandemiebedingten Mehrausgaben für absolut gerechtfertigt, zumal nach dem Abklingen der dritten Welle im Herbst eine von der Delta-Variante geprägte vierte Welle droht. Es ist ein kleiner Beitrag, der ca. 1.000 Leipzigerinnen und Leipzigern, die sich derzeit in diesen Maßnahmen befinden, sofort und unbürokratisch zu Gute kommt. Und da kommen wir schon zum Verwaltungsstandpunkt, der an dieser Stelle leider sehr schwammig wird, wenn lediglich von einem „bedarfsdeckenden Betrag“ die Rede ist. Das ist uns schlichtweg zu wenig.

Auch schulmeistert die Verwaltung leider etwas: Unsere Fraktion hat keinesfalls bestritten, dass die Entscheidung zur Höhe der MAE der Geschäftsführung des Jobcenters obliegt. Leider verschweigt aber der Verwaltungsstandpunkt, dass die Geschäftsführung seit Bestehen dieser Unterstützungsleistung noch nie aus eigenem Antrieb aktiv wurde. Jede Erhöhung der MAE seit 2005 fand ausschließlich auf Initiative aus dem Stadtrat statt, beim letzten Mal - wie schon erwähnt – angestoßen durch die CDU.

Damit komme ich zum zweiten Hauptaspekt unseres Antrages. Der Oberbürgermeister soll sich als Präsident des Deutschen Städtetages auf Bundesebene dafür einsetzen, dass Bezieherinnen und Beziehern von Leistungen nach SGB II und XII sowie dem Asylbewerberleistungsgesetz ein monatlicher Pandemiezuschuss von 100 Euro gewährt wird. Diese Summe haben wir keinesfalls wahllos aus der Luft gegriffen. Da ist zum einen das prominente zivilgesellschaftliche Bündnis von 41 Verbänden und Gewerkschaften, das am 25. Januar 2021 mit seinem Aufruf „Soforthilfen für die Armen – jetzt! Solidarisch für sozialen Zusammenhalt und gegen die Krise“ an die bundesweite Öffentlichkeit trat und exakt die 100 Euro pauschaler Mehrbedarfszuschlag forderte. Die Erhöhung der Regelsätze um lediglich 14 Euro auf 446 Euro zu Beginn des Jahres – also mitten im zweiten Lockdown - wurde als „armutspolitischer Offenbarungseid“ bezeichnet. Dieser sachlichen Einschätzung der Verbände und Gewerkschaften und dem darin enthaltenen moralischen Appell schließen wir uns dezidiert an.  

Zum anderen hatte auch die Bundestagsfaktion von Bündnis 90/Die Grünen bereits im Juni 2020 in einem Grundsatzpapier festgestellt: „Wir sind der Auffassung, dass die Hartz IV-Regelsätze seit Jahren auf einem derart niedrigen Niveau liegen, das die tatsächlichen Bedarfe nicht deckt und die Regelsatzhöhe an der Lebensrealität völlig vorbeigeht.“ Aus diesem Grunde wurde ein eigenes, wissenschaftlich fundiertes Konzept zur Berechnung der Regelsätze vorgestellt.

Ich verweise auf dieses Konzept der Grünen, weil im Verwaltungsstandpunkt leider kein Wort zu den von uns geforderten 100 Euro steht, sondern sich der Oberbürgermeister als Präsident des Deutschen Städtetages lediglich dafür einsetzen soll, „dass die aktuellen Preisentwicklungen und pandemiebedingten Sonderbedarfe bei der nächsten gesetzlichen Regelbedarfsanpassung entsprechend berücksichtigt werden“ sollen.

Das ist aber ein kleiner Taschenspielertrick, denn man sollte folgendes wissen: Alle fünf Jahre ermittelt das Statistische Bundesamt in Zusammenarbeit mit den statistischen Landesämtern eine Einkommens- und Verbrauchsstichprobe der Bevölkerung (EVS) über die Klebensverhältnisse privater Haushalte in der BRD. Die letzte Stichprobe erfolgte für das Jahr 2018 und war Grundlage für die Herleitung und das politische Kleinrechnen des Regelbedarfs ab 2021. Die nächste Stichprobe dürfte also erst 2023 erfolgen und dann 2024 veröffentlicht werden. Wir bitten daher um Zustimmung zu unserem Antrag, zumal er nicht den städtischen Haushalt belastet, sondern auf vorhandene Mittel des Bundes zurückgreift.