Stadt Leipzig verstößt bei der KdU-Praxis gegen geltendes Recht

Mathias Weber

Die Fraktion DIE LINKE hat im Herbst 2017 den Antrag „Anpassung der Kosten der Unterkunft an die aktuelle Mietpreisentwicklung“ ins Ratsverfahren eingebracht.

Bis vor Erscheinen des Verwaltungsstandpunktes habe ich eigentlich gedacht, dass es sich um eine Art Unfall handelt. Kam es doch zu Schwierigkeiten bei der Erarbeitung des qualifizierten Mietspiegels, so dass die Kosten der Unterkunft seit gut vierJahren auf dem gleichen Niveau verweilen, trotz steigender Angebotsmieten von durchschnittlich 5 % pro Jahr über alle Segmente

(LVZ laut Pisa Wohnungsmarktstudie)?

Als wir dann den Verwaltungsstandpunkt lasen – Ablehnung da bereits Verwaltungshandeln – wollten wir es nicht glauben. Doch eins nach dem anderen.

Bei uns im Stadtrat überschneiden sich hier und heute zwei Ergebnisstränge, die jetzt durch die Verwaltung unverblümt miteinander verknüpft werden.

Strang 1:

Um bei der KdU-Problematik am Ball zu bleiben – immerhin eines der Hauptarbeitsfelder der Sozialgerichte – hat der Stadtrat im Jahr 2007 auf Antrag der Fraktion DIE LINKE ein jährliches Controlling beschlossen. Darin findet eine Art Analyse bzw. Abschätzung der Kosten der Unterkunft in Bezug auf die Angebotsmieten statt.

Strang 2:

Da die frühere Herleitung zur Ermittlung der Kosten der Unterkunft vom Sozialgericht Leipzig nicht anerkannt wurde, ist Leipzig wie viele andere Kommunen auch ab Ende 2014 zur Methodik des „Schlüssigen Konzeptes“ gewechselt. Das Bundessozialgericht hat dafür relative konkrete Kriterien entwickelt bzw. ein transparentes Vorgehen eingefordert. Nähere Infos finden Sie in der Vorlage DS 687/14.

Im Jahr 2014 war die Welt auch noch in Ordnung. Anhand der Mietspiegeldaten und der Betriebskostenbroschüre hat man das Schlüssige Konzept erarbeitet. Alles gut. Im September 2015 hat die Stadtverwaltung dann ihre Pflicht getan und den Ratsbeschluss aus 2007 umgesetzt und das Controlling dem Stadtrat vorgelegt. Gleiches geschah auch 2016. Doch spätestens 2016 hätte auch eine Überprüfung der Kosten der Unterkunft in methodischer Übereinstimmung zum Schlüssigen Konzept stattfinden müssen. Die Mietspiegeldaten lagen bereits seit Januar 2016 vor.

Hintergrund:
Der Gesetzgeber fordert eindeutig im Sozialgesetzbuch II. §22c Abs. 2: „Die Kreise und kreisfreien Städte müssen die durch Satzung bestimmten Werte für die Unterkunft mindestens alle zwei Jahre und die durch Satzung bestimmten Werte für die Heizung mindestens jährlich überprüfen und gegebenenfalls neu festsetzen.“

Passiert ist nichts.

2017 – ebenfalls nichts. Nicht einmal der vom Rat beschlossene Controllingbericht wurde vorgelegt.

Immer mehr Betroffene und Sozialverbände meldeten sich zu Wort, wo denn die Überprüfung der Kosten der Unterkunft bleibe. Bis dann meine Fraktion den heutigen Antragsgegenstand einreichte. Und nun kommt der Verwaltungsstandpunkt zu dem Antrag um die Ecke, den ich Ihnen echt übel nehme.

Ähnlich wie 1492 bei der Wiederentdeckung Amerikas versucht die Verwaltung, uns Stadträtinnen und Stadträten den Controllingbericht als Überprüfung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft unterzujubeln.

Im gleichen Verwaltungsstandpunkt schafft es die Verwaltung noch, sich zu widersprechen, indem sie im Abs. 2 und 3 die hohe Qualität der Datenerhebung herausstellt, welche es für die Überprüfung bedarf, um dann im letzten Satz des Verwaltungsstandpunktes dem Stadtrat weiszumachen, dass der Controllingbericht von 2016 die Überprüfung der Angemessenheit der KdU-Sätze sei.

Zwischenfazit:

  • Die aktuellen KdU-Sätze resultiert aus einer Datengrundlage, die älter als vier Jahre ist.
  • Damit verstößt Stadt Leipzig gegen geltendes Recht.
  • Und der Ratsbeschluss IV-790 aus dem Jahre 2007 wurde nur lückenhaft ausgeführt.

In der Vorberatung dieses Antrages in den Ausschüssen wurde von der Stadtverwaltung vorgetragen, dass eine Anhebung der KdU-Sätze zu Mitnahmeeffekten bei der Immobilienwirtschaft führe. Das stimmt sicherlich hier und da, nur hat die Kommune keinerlei Ermessensspielraum zu entscheiden, „mache ich“ oder „mache ich nicht“.

Kommen wir zur Ebene der Betroffenen:

In Leipzig leben laut aktuellem Sozialreport ca. 67.000 Leipziger SGB II/XII-EmpfängerInnen.

Fall A: Sie sind Bestandsmieter:

Sie wohnen in einem KdU-angemessenen Wohnraum? Freuen Sie sich nicht zu früh! Was passiert, wenn Ihr Vermieter modernisiert (wie von der LWB geplant) oder die Miete auf die ortsübliche Vergleichsmiete anhebt, dann werden Sie voraussichtlich nach den jetzigen KdU-Sätzen eine Kostensenkungsaufforderung vom Jobcenter erhalten und nach 6 Monaten wird Ihnen das Arbeitslosengeld II (Existenzminimum) entsprechend abgesenkt.

Im schlimmsten Fall werden Sie aufgefordert auszuziehen. Die meisten einköpfigen und vierköpfigen Bedarfsgemeinschaften werden, „wenn sie Glück haben“, noch eine Wohnung im Plattenbau bekommen.

So oder ähnlich ist es in den letzten Jahren vielfach geschehen. Näher Information hat das Jobcenter Leipzig.

Fall B: Sie sind AlG II-Wohnungssuchende:

Exemplarisch: Vierraumwohnung:

Zur Zeit gibt ca. 15 Angebote pro Woche im KdU-Rahmen in dieser Wohnungsgröße auf allen Immobilienplattformen zusammen. Raten Sie mal, wo sich diese Wohnungen hauptsächlich befinden?

Segregation: Um diese Wohnungen ist ein harter Kampf da draußen entbrannt. Besserverdienende wollen ja auch preiswert wohnen. Dann kommen Aussagen wie „Wir nehmen keine Leute vom Jobcenter“.

Erbarmt sich dann mal ein Vermieter und zieht Sie in die engere Wahl, dann müssen Sie vorher noch beim Jobcenter das Wohnungsangebot einreichen. So eine Prüfung kann schon mal zwei Wochen in Anspruch nehmen.

Da können Sie sich mal Ihre Chancen als AlG II-Bezieher ausrechnen, eine dieser 15 Wohnungen zu ergattern.

Aber Schlimmer geht immer: Wenn Sie dann nur gebrochen Deutsch sprechen und Sie nicht die richtige Haarfarbe haben ...

Wir als Politik müssen uns die unbequeme Frage gefallen lassen, warum wir unserer Kontrollfunktion nicht hinreichend nachgekommen sind.

Wir haben viele Menschen in einem sich aufheizenden Wohnungsmarkt allein gelassen, für einige hatte das den sozialen Abstieg zur Folge.

Wir als Politik haben in den letzten Jahren immer, wenn es um das Thema Wohnen ging, nur mit dem Finger auf Bund, Land und die Immobilienwirtschaft gezeigt und haben unsere eigenen Hausaufgaben nicht gemacht.

Abschließend:

Ich erwarte von der Verwaltung hier und jetzt eine belastbare Aussage, wann die Fortschreibung des Schlüssigen Konzeptes erfolgt.

Sollte die Stadtverwaltung auf die Idee kommen, die Datengrundlage vom Januar 2016 des aktuellen Mietspiegels, also Daten, die älter als zwei Jahre sind, für die Berechnung der künftigen KdU-Sätze zu verwenden, empfehle ich meiner Fraktion, dies rechtlich in Form einer Organklage prüfen zu lassen.

Wir als Fraktion DIE LINKE stellen den Originalantrag zur Abstimmung. Mit der Streichung des 12. Wortes „halbes“ im 2. Abs. und beantragen gleichzeitig namentliche Abstimmung.

Rede zum Antrag der Fraktion DIE LINKE VI-A-05039 "Anpassung der Kosten der Unterkunft an die aktuelle Mietpreisentwicklung".