Redebeitrag Dr. Volker Külow zur Ratsversammlung 16.6.2022, TOP 18.5 „Strategischer Ankauf des Grundstücks Friederikenstraße 37 für die Notunterbringung von geflüchteten Menschen“

Stadtrat Dr. Volker Külow

Es gilt das gesprochene Wort.

Innerhalb weniger Monate holen uns die jahrelangen Versäumnisse der städtischen Liegenschaftspolitik ein zweites Mal ein: Versäumnisse, die uns immer wieder zusätzliche Summen im zweistelligen Millionenbereich kosten. Es ist bekanntlich noch nicht lange her, da wurde im Stadtrat nach einer hitzigen Debatte der Ankauf vom Kohlrabizirkus beschlossen. Damals konnte man kurz vor Ultimo den Kaufpreis wenigstens noch um einen nennenswerten Betrag drücken. Diesmal scheint eine Preisreduzierung trotz diverser Zusagen der Rathausspitze, sich darum zu bemühen, nicht möglich zu sein. Diese Hartleibigkeit erschwert die ohnehin schon schwierige Beschlussfassung zusätzlich und hat uns veranlasst, die Senkung des Kaufpreises auf 14,8 Mio. Euro zu beantragen.

Rund um die Friederikenstraße 37 ging es bekanntlich im Rathaus schon 2013/2014 sehr merkwürdig zu. Seinerzeit wurde der ursprüngliche Erwerber - dem die Immobilie im Grundstücksverkehrsausschuss schon zugesprochen worden war - von einem Mitarbeiter im Liegenschaftsamt ausgebootet. Das ermöglichte dann den Verkauf der ehemaligen Ingenieursschule an einen anderen Käufer per Zweitvorlage für schlappe 500.000 Euro. Das war ein schwerer Fehler, wie die Verwaltung schon damals sogleich einräumte, denn die Stadt hätte die Immobilie dringend selbst gebraucht.

So wurde es möglich, dass sie der Freistaat am 28. Januar 2015 für die Unterbringung von 350 Asylbewerberinnen und -bewerbern vom neuen Privateigentümer anmieten konnte. Über die Konditionen dieses bis 2020 laufenden Vertrages erteilt die Staatsregierung bis heute keine Auskunft, weil der Vertrag - ich zitiere aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Rico Gebhardt - eine „Geheimhaltungsklausel“ enthält. Zumindest wurde in dieser Landtagsdrucksache mitgeteilt, dass seit 2015 über 270.000 Euro aus öffentlichen Mitteln in Bauerhaltungsmaßnahmen geflossen sind.     

Heute, sieben Jahre später, will Leipzig das Gelände vom gleichen Eigentümer, an den man es 2014 veräußert hat, für den 30fachen Preis zurückkaufen. Das ist ein handfester Skandal, denn eine wesentliche Wertsteigerung durch Investitionen ist in der Zwischenzeit nicht erkennbar. Alles läuft darauf hinaus, dass ein anfänglicher Fehler durch Inkaufnahme eines noch schwereren und teureren Fehlers kompensiert werden soll. Dabei enthält das in den zwischen beiden „Deals“ fallende INSEK eindeutige Forderungen – strategische Flächenvorsorge und aktive Liegenschaftspolitik unter den Aspekten sparsamer Haushaltsführung (Seiten A-8 und A-13). Für die Friederikenstraße gelten solch hehre Grundsätze offenbar nicht. Da regiert nicht „die unsichtbare Hand des Marktes“, sondern die klebrigen Flossen der Immobilienhaie. Clemens Meyer hat dafür in der „Welt am Sonntag“ jüngst eine passende Formel gefunden: „Auch die Heldenstadt macht ihre Spekulanten satt.“

Schlimm ist nur, in wessen Abhängigkeit sich damit eine demokratisch gewählte Stadtverwaltung begeben hat. Erkennbar ist für uns die nackte Spekulation durch kaltherzige Ausnutzung einer Notlage. Wer will, kann darin pures Kriegsgewinnlertum erkennen - nicht durch die Hintertür, sondern frontal durch ein Wohnheim. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit raschen Handelns zur Unterbringung von Ukrainegeflüchteten durch die Stadt: mit seiner Eilentscheidung vom 24. März 2022, die Friederikenstrasse für fünf Jahre zu einem Quadratmeterpreis von 8,60 Euro anzumieten, hatte der Oberbürgermeister diesen Weg erst ermöglicht.

In der als eilbedürftig deklarierten Ursprungsvorlage vom April 2022 zum Ankauf des Objekts wurde das frühere städtische Eigentum an der Immobilie kurzerhand verschwiegen. Das bewerten wir als ein deutliches Zeichen, dass die Verwaltung den Stadtrat entweder für inkompetent bzw. vergesslich oder gar für beides hielt. Davon zeugt auch die blauäugige Begründung für die Nichtöffentlichkeit der Vorlage: „Die Kaufabsichten der Stadt Leipzig sollen nicht bekannt gemacht werden, um zu verhindern, dass andere Marktteilnehmer möglicherweise im Wettbewerb zum Kaufinteresse der Stadt Leipzig treten und somit die Erreichung der formulierten Ziele gefährden.“ Der Satz intendiert, dass etwaige herbei halluzinierte Konkurrenten 16 Millionen Euro oder noch mehr für dieses Gelände zahlen würden – da fällt mir ehrlich gesagt nichts mehr ein.

In der Neufassung entfällt diese Passage und die Verwaltung bemüht sich nunmehr, auch Alternativen nach der etwaigen Nutzungsaufgabe als Gemeinschaftsunterkunft aufzuzeigen. Das ist gewiss richtig, aber ohne belastbare Machbarkeitsstudien oder Kostenberechnungen können wir diese Vorschläge vorerst nicht bewerten. Es ist zu hoffen, dass die Verwaltung diesbezüglich bald nachlegt; dem CDU-Änderungsantrag können wir daher zustimmen.

Noch mehr zu wünschen und zu hoffen ist natürlich, dass der schreckliche Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine bald beendet wird und möglichst viele Ukrainerinnen und Ukrainer in ihre Heimat zurückkehren können. Bis dahin ist das weltoffene Leipzig gern bereit, die derzeit über 9.000 Geflüchteten in unserer Stadt gastfreundlich aufzunehmen und zu beherbergen. Dafür brauchen wir natürlich auch in ausreichendem Umfang Gemeinschaftsunterkünfte, nicht zuletzt, um die vielen engagierten privaten Quartiergeberinnen und -geber zu entlasten. Insofern wird eine der Notsituation geschuldete Lösung für die Friederikenstrasse trotz der geschilderten Vorbehalte nicht an der Linksfraktion scheitern.