Motivation für Politik wird am besten entstehen, wo Beteiligung möglich ist

Marco Götze

Sehr geehrter Herr OBM, 

sehr geehrte Bürgemeisterinnen und Bürgermeister, 

sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, 

sehr geehrte Wahrnehmende dieser Ratsversammlung,

 

über politische Bildung lässt sich nur dann ein Konsens herausarbeiten, wenn jede und jeder deutlich macht, was darunter verstanden werden soll: welche Prioritäten dabei gesetzt werden, wer Lernende und Lehrende, Träger des Ganzen sein sollen, welche Ziele sich gesetzt und welche Gegenstände, Instrumente und Institutionen folglich auf welcher Ebene dabei eine Rolle spielen sollen. Die Bemerkungen hier müssen notwendigerweise verkürzt ausfallen, dennoch, wir als Linke begrüßen die Stunde sehr, da sie das Feld wenigstens gedanklich aufschließt.


Politisch Aktive haben in diese Stunde nun ihre Sicht einzubringen.

Als politische Akteure wünschen wir uns – seien wir ehrlich,

es mögen mehr von uns werden, 

  1. die Politik und die Politikmachenden verstehen können oder wollen,
  2. die grundgebildet politisch mitwirken möchten
  3. möglichst noch auf der gefühlt besten Seite des politischen Spektrums und
  4. mit einer politischen Kultur, die der der eigenen am besten 1:1 entspricht.
     

Wir leben jedoch leider weiterhin in Zeiten, in denen ein Teil der politischen Szenerie explizit auf der politischen Nichtbildung das Gebäude ihrer Zustimmung und Stärke baut. Nichtanerkenntnis wissenschaftlicher Fakten, Klischees und Ressentiments gegenüber Menschengruppen, Mythen vom höheren eigenen Wert, Verschwörungen und Feindbilder  gedeihen in einer Parallelwelt postfaktischer Selbstbespiegelung in sozialen Medien - vor allem des rechten Randes.

Ein Teil unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger jeden Alters steigt aus jeder politischen Gemeinsamkeit aus, um zugleich den anmaßenden Anspruch zu erheben für diese Stadt und dieses Land und eine nur von ihnen erfühlte Mehrheit zu sprechen. 

Die Notwendigkeit umfassender politischer Bildung ist daher nur allzu klar.

Aber: Diese Herausforderung jener neuen digitalen politischen Parallelwelten sind groß. Wir kommen da mit unserer Forderung nach wissensbasierter Meinungsbildung schon häufig zu spät und an viele nicht mehr heran. Politische Bildung darf sich nicht darin erschöpfen, die große Masse der Menschen zu einem möglichst willfährigen Publikum für die repräsentative Demokratie zu formen, das die politische Mitbestimmung allein in Wahlen vollzieht. Es reicht nicht, in Selbsterfahrungs- und Experimentierfeldern in Schule, Ausbildung, Jugendorganisationen neuen politischen Nachwuchs zu generieren. Das züchtet allenfalls politisch sehr bewusste taffe Minderheiten. Es muss mehr um ein breites ethisches und fachliches politisches Bildungsfundament im Geiste von Grund- und Freiheitsrechten gehen.

Nicht nur für Jugend. Erschreckende politische Unkenntnis und aus überzogener Erwartungen an Politik gewachsene Verdrossenheit finden wir generationsübergreifend. Kenntnisse des politischen Systems, politischer Mechanismen und Regeln sind nur eines von vielen. Es gilt, Diskussions- und Debattenkultur, Perspektivenübernahme und bitteschön auch demokratische Protestkultur zu fördern, die Möglichkeit zur Beteiligung und Einmischung zu stärken, ebenso wie die Kenntnisse der Instrumente dazu. Motivation für Politik wird am besten entstehen, wo Beteiligung möglich ist, Meinung hörbar und sichtbar werden kann, bei Anliegen, bei denen Veränderungen als möglich erlebt werden. 

Wir sind für mehr Elemente direkter Demokratie und eine Absenkung des Wahlalters. Direkte demokratische Prozesse führten beispielsweise dazu, dass unsere Stadtwerke noch unsere Stadtwerke sind. Sicher ist der erste Ort politische Bildungsort die Schule. Sachsen hat diesbezüglich im schulischen Bereich viel versäumt. Schule war zu oft ein weitgehend politikfreier Raum, Gemeinschaftskunde, Recht, Wirtschaft begann lange zu spät und das Fach hat bis heute zu wenige Stunden.

Der Beutelsbacher Konsens, zeigt die Grenzen von politischer Beeinflussung in Schulen auf, er wurde aber viel zu oft als Gebot der Entpolitisierung gesehen. Schule und Lehrende müssen sich mit Wissen und sorgsamer Position dem Politischen öffnen, weil sie sich der Welt öffnen müssen. Schule darf nicht nur als Unterrichtsraum, sondern muss auch als außerunterrichtlicher sozialer Raum der Demokratieerfahrung und Demokratievermittlung erlebt werden.

Hinzutreten müssen weitere Angebote politisch-geschichtlicher, politisch-institutioneller und demokratischer Bildung: Ausreichende Förderung außerschulischer Lernorte, etwa Museen, aber auch geschichtlicher Orte, Gedenkorte und ähnliches gehört dazu. An Orten wie z.B. Stadtbibliothek und Volkshochschule können wir politische Bildung im Zusammenspiel mit weiteren Trägern in Veranstaltungen weiter verankern und stärken.  

Die Förderung von Trägern, die sich mit Demokratiebildung, Antirassismus und Antidiskriminierung beschäftigen, muss ermöglicht, bisweilen wieder ermöglicht und verstärkt werden. Deren jugendgemäßere Veranstaltungen sind oft zielführender als Unterricht. Das gilt auch für gute Angebote der Verwaltung, in Schulen mit Fakten bildend zu wirken. Gute Erfahrungen habe ich damit persönlich zum Thema Migration im fächerverbindenden Unterricht sammeln dürfen. 

Auch Stadtrat und im Rathaus können noch viel tun, um begreifbarer und erlebbarer zu werden, wir müssen es sogar. Es ist an der Zeit. Und an der, mich für ihre Aufmerksamkeit zu bedanken.