Marco Götze: Schulsozialarbeit zur Regel machen!

Marco Götze zum gemeinsamen Antrag mit Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und SPD-Fraktion

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte,

gemeinsam mit den Fraktionen der SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen haben wir einen Antrag eingereicht, Schulsozialarbeit in Leipzig zur Regel zu machen. Wie wichtig dies ist, zeigen die erfahrenen Lebenswirklichkeiten und Problemlagen in und um unsere Schulen, es gebieten Vernunft und das Verantwortungsbewusstsein für die jungen Menschen. Viele Lebenskrisen gibt es – ganz unabhängig von der Schulform – und diese Lebenskrisen gilt es zu bewältigen und das gelingt nicht allen gleichsam gut.

Persönliche Krisen, Krisen im Elternhaus, untereinander und die Herausforderung System Schule können einschneidende Probleme sein, die das Leben aus der Bahn werfen können und oft auch die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gefährden. Es ist unsere Aufgabe, dem nicht ignorant gegenüberzustehen, an keiner Schulform und an keiner Schule.

Hinzu kommen aber auch gesellschaftliche Prozesse, und diese waren und sind in der letzten Zeit nicht gerade knapp. Dazu gibt es aber auch empirische Belege, die Notwendigkeit untermauert die gestern veröffentlichte Trendstudie „Jugend in Deutschland“. Aktuelle Krisen wie der Klimawandel, Krieg, die Corona-Pandemie oder die offene Technologieentwicklung sorgen für Skepsis und Angst der Zukunft gegenüber. 46 Prozent der Befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen gaben an, durch diese Faktoren unter Stress zu leiden. Zum Vergleich: Bei den 50- bis 69-Jährigen sind es nur 20 Prozent. Ein Dauerkrisenmodus, wie Jugendliche und jungen Erwachsene ihn gerade erleben, hinterlässt seine psychologischen Spuren. Sechs Prozent der Befragten 14- bis 19-Jährigen gaben an, an Suizidgedanken zu leiden.

Das meiste bekommen wir im schulischen Massenbetrieb bei bestem Willen und Wollen nicht mit, allenfalls, dass jemand sich bedrückt fühlt. Wir brauchen als Lehrerinnen und Lehrer dabei fachkompetente Hilfe. Weitere 14 Prozent verspüren Hilflosigkeit ob der aktuellen Entwicklung in der Welt, ein Prozentsatz, der deutlich über den Vor-Pandemie-Niveau liegt. Diese Erkenntnisse belegen: Es herrscht ein hoher Handlungsbedarf – und zwar jetzt! Ein möglicher Handlungsschritt soll die Einrichtung einer flächendeckenden Schulsozialarbeit in Leipzig sein. Am 07. Mai 2021 stimmte der Bundesrat zu, die Schulsozialarbeit gesetzlich in Form des §13a SGB VIII zu verankern. Daraus ergibt sich für uns ein Anspruch auf die Einrichtung von Anlaufstellen an allen Schulen. Denn jede Schulart, egal ob Gymnasium, Ober- oder Gesamtschule, bringt ihre eigenen Problemlagen mit sich. Aber jede Schulart hat eben auch welche.

Von der langjährigen sächsischen Illusion, im Gymnasium sei man zum Beispiel auf der Sonnenseite der Gesellschaft, muss sich verabschiedet werden. Vielleicht sind dort Spannungen und Problemlagen bisweilen anders. Entwicklungspsychologisch durchlaufen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten genau dieselben Lebensphasen wie Oberschülerinnen und Oberschüler. Ja, sie durchlaufen sogar alle die Pubertät und auch andere Krisen. An jeder Schulform gibt es negativ wirkende Gruppenprozesse, die aufgearbeitet werden müssen, bevor es erst schlimm oder irreparabel wird. Mögen Gespräche mit den Amtsträger*innen auf Landesebene erfolgreich werden, um ausfinanzierte Schulsozialarbeit abzusichern. Das wäre uns lieb. Uns ist bewusst, dass vieles die Pflicht anderer ist. Wir können aber auch nicht an der sehr prekären Lage, die nach Hilfe im Unterstützungssystem schreit, mit dem Verweis auf Unzuständigkeit an uns vorbeigehen. Schulleiterinnen und Schulleiter haben bereits Brandbriefe geschrieben.

Bis dahin müssen wir als Kommune handeln: Bis zum Schuljahr 2028/29 wollen wir schrittweise flächendeckend alle Schulen mit Schulsozialarbeit auszustatten. Wir würden es auch schneller tun, aber wir kommen schnell an Personalkapazitätsgrenzen, denn Schulsozialarbeit ist fachlich nur hochqualifiziert möglich. Das entsprechende Umsetzungskonzept soll dem Stadtrat bis zum IV. Quartal 2023 vorgelegt werden.

Noch eins zum Schluss: Für das Erlernen des Lernstoffes, für die Qualität und Zahl von Abschlüssen sind Lehrerinnen und Lehrer zuständig, ja, auch zum Teil für das Erziehen, soweit es die Bedingungen zulassen. Besondere Problemlagen, die auch neutrale Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner brauchen, bedürfen der Schulsozialarbeit in enger Verzahnung mit allen anderen schulischen Akteurinnen, Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, den Eltern und Erziehungsberechtigten und zuallererst für die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen unserer Stadt. Um die geht es nämlich.

Viele Dank.