Hilfe zur Erziehung

Rüdiger Ulrich

Inzwischen sind 6 Jahre vergangen, eine jährliche Fortschreibung der Jugendhilfeplanung im Sinne einer tatsächlichen Bedarfsplanung auf der Grundlage kontinuierlicher Leistungs- und Bedarfsanalysen (gesetzlich gefordert und im Jugendhilfeplan festgelegt) ist nicht erfolgt. Der aktuelle Plan hat deshalb an Akzeptanz eingebüßt. Der konstruktive Charakter der Zusammenarbeit, getragen durch die gemeinsame Verantwortung und einen partnerschaftlichen Umgang, ist verlorengegangen.

Seit dem Inkrafttreten des KJHG im Jahre 1990 gehört die Jugendhilfeplanung zur Pflichtaufgabe des örtlichen Trägers der Jugendhilfe. Ziel so einer Planung ist es:

1. den Bestand an Einrichtungen und Diensten festzustellen,

2. den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Sorgeberechtigten zu ermitteln und

3. die zur Befriedigung des Bedarfs notwendigen Vorhaben rechtzeitig und ausreichend zu planen.

Bei richtiger Anwendung verfügt sowohl die Stadtverwaltung als auch die Kommunalpolitik mit einer qualitativen Planung über ein wirksames Steuerungsinstrument der Jugendhilfe. Voraussetzung ist allerdings, dass Jugendhilfeplanung als ein kontinuierlicher Prozess unter Einbeziehung der freien Träger und anderer Beteiligter verstanden wird.

Der aktuelle Jugendhilfeplan der Stadt Leipzig, der 1996 erarbeitet wurde, hat deshalb so hohe Akzeptanz gefunden, weil in einem sehr konstruktiven Diskussionsprozess zwischen allen Beteiligten (Verwaltung, freie Träger, Jugendhilfeausschuss) eine qualitativ gute Arbeitsgrundlage für die fachliche Ausrichtung des Jugendamtes sowie für künftiges kommunalpolitisches Handeln im Bereich der Jugendhilfe erarbeitet wurde.

Inzwischen sind 6 Jahre vergangen, eine jährliche Fortschreibung der Jugendhilfeplanung im Sinne einer tatsächlichen Bedarfsplanung auf der Grundlage kontinuierlicher Leistungs- und Bedarfsanalysen (gesetzlich gefordert und im Jugendhilfeplan festgelegt) ist nicht erfolgt. Der aktuelle Plan hat deshalb an Akzeptanz eingebüßt. Der konstruktive Charakter der Zusammenarbeit, getragen durch die gemeinsame Verantwortung und einen partnerschaftlichen Umgang, ist verlorengegangen. Die Beteiligten am Planungsprozess stehen sich heute eher misstrauisch gegenüber. Um so erfreulicher ist es, dass mit dem Fachplan „Hilfen zur Erziehung“ mindestens auf einem Leistungsfeld der Jugendhilfe, andere werden demnächst folgen, eine Fortschreibung der Jugendhilfeplanung dem Stadtrat vorgelegt wird.

Dazu nun einige Bemerkungen:

Während in den letzten Jahren sich in Leipzig die stationären und die ambulanten Hilfen zur Erziehung parallel entwickelt haben, soll nun mit dem Fachplan grundsätzlich umstrukturiert werden. Dabei geht es um eine deutliche Reduzierung der stationären Angebote (allein im Jahre 2001 um 90 Fälle), um eine drastische Verkürzung der Verweildauer in stationären Einrichtungen auf durchschnittlich 6 Monate (gegenwärtig liegt die Verweildauer bei mehr als 2 Jahren) um eine Verringerung der Zahl der außerhalb Leipzig untergebrachten Kinder und Jugendlichen (jährlich um 60 Fälle) und um eine Einschränkung des sogenannten § 35 a KJHG (Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche).

Natürlich müssen die Leistungsangebote in der Jugendhilfe immer wieder in Hinsicht auf Ansatz und Wirkungen reflektiert und überprüft werden. Dies darf aber nicht oberflächlich und schon gar nicht unter dem Primat fiskalischer Zwänge geschehen. Dafür haben wir es gerade im Bereich der Hilfe zur Erziehung mit einem sehr sensiblen Bereich zu tun. Fehler können weitreichende Folgen sowohl für die zu schützenden Kinder und Jugendlichen als auch de-ren Sorgeberechtigten und auch für den einzelnen Sozialarbeiter haben. Beispiele dafür gibt es auch in Leipzig. Hier setzt auch unsere Kritik zum vorliegenden Teilfachplan an. Lassen Sie mich das an einigen Punkten festmachen:

<1.Im vorliegenden Material finden Sie gleich am Anfang einen Städtevergleich. Der Aussage, dass die Gesamtfallzahl der Hilfen zur Erziehung in Leipzig deutlich höher ist als in anderen ostdeutschen Städten, folgt die Schlussfolgerung die Fallzahl im stationären Bereich um 90 Fälle zu verringern. Welche Ursachen gibt es aber für die höheren Fallzahlen in Leipzig? Darüber erfährt man nichts! Vielmehr werden die möglichen Einsparungen vorgerechnet.

2. Die Verkürzung bzw. Verringerungen von stationären Hilfen und auch die Rückführung von Kindern und Jugendlichen, die außerhalb Leipzigs untergebracht sind, erfordert das Vorhandensein alternativer flexibler Hilfen. Tatsache ist, dass diese zum Teil erst zu entwickeln und zu erproben sind (zum Beispiel gibt es keine Erziehungsstellen in Leipzig). Nach Aussage der HTWK wird dafür mindestens ein Zeitraum von 3 Jahren benötigt. Die Zahlenvorgaben für das Jahr 2001, sind unrealistisch und setzen die Sozialarbeiter/innen unter Druck, welcher das Risiko von Fehlern erhöht. Grundsätzlich muss gelten, dass in jedem einzelnen Fall der von Fachleuten gemeinsam mit den Betroffenen ermittelte Hilfebedarf über die Hilfeformen und –dauer entscheidet. Dazu fehlen klare Aussagen im Teilfachplan. In einer Evaluationsstudie zu stationären und teilstationären Erziehungshilfen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die stationären Hilfen im Heim weder als „ulitma ratio“ (letztes Mittel) abgewertet noch wegen ihrer hohen Kosten als lästiges und abzuschaffendes Übel kommunaler Haushalte gesehen werden dürfen.

3. Große Probleme haben wir mit der Zielstellung, dass die Verwendung des § 35 a öfter als bisher zur Ausnahme werden soll. Hierzu ist zu sagen, dass es sich um einen Rechtsanspruch entsprechend KJHG handelt. Deshalb muss gelten, wenn der Anspruch besteht, dies diagnostiziert ein Arzt, dann ist der Anspruch zu gewähren. Ansonsten können Betroffene ihren Anspruch einklagen.

Es müssten noch weitere Dinge gesagt werden, aus Zeitgründen ist mir dies nicht möglich. Es ist, so denke ich, trotzdem deutlich geworden, dass der von der Stadt angestrebte Umstrukturierungsprozess weiter unter fachlichen Gesichtspunkten diskutiert werden muss. Da in der Fachliteratur insgesamt, aber auch im vorliegenden Hilfeplan zur Nützlichkeit und Effektivität der verschiedenen Hilfeformen kaum konkrete Aussagen zu finden sind, schlagen wir mit unserem Änderungsantrag vor, den Umstrukturierungsprozess wissenschaftlich zu begleiten.