Der Energiepreis ist der Brotpreis des 21. Jahrhunderts

Dr. Volker Külow

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Noch sind die fatalen sozialen Folgen der Corona-Pandemie nicht abgeklungen, da gibt es mit der Inflation und den explodierenden Energiekosten - die lange vor dem Ukrainekrieg begann und seither nur mittelbar etwas mit diesem schändlichen Krieg zu tun hat - bereits neue existentielle Bedrohungen für die ärmeren Bevölkerungsschichten. Nicht wenige müssen sich entscheiden, wofür sie ihr ohnehin schon knappes Geld ausgeben wollen: für Lebensmittel, Energie oder Mobilität. Die sozialen Verwerfungen werden konkreter und es droht eine Armutsspirale für viele Menschen. Das gilt auch für Leipzig, wo die Einschätzung von Frau Dr. Andrea Schultz, der Abteilungsleiterin für Stadtforschung im Amt für Statistik und Wahlen, aus dem Jahr 2021 noch immer aktuell ist: „Es kann vermutet werden, dass in weiten Teilen der Stadtgesellschaft keine Reserven für eine wirtschaftliche Krise vorhanden sind.“ Wer in dieser Situation von "Freiheitsenergie" faselt, wie einige Politiker auf der Bundesebene, greift - bildlich gesprochen - ungeschützt an die abisolierte Hochspannungsleitung. Nicht um imaginäre "Freiheitsenergie" geht es, sondern um konkrete Energiearmut.


In der aktuellen Ahoi-Ausgabe sagt der Chef der Leipziger Tafel, Dr. Werner Wehmer: „Ich beobachte, dass Menschen, die sechs oder acht Monate nicht hier waren, jetzt wieder unsere Hilfe brauchen.“ Und damit sind wir schon direkt im Thema. Erneut will unsere Fraktion mit einem Antrag gerade denjenigen Menschen unkompliziert helfen, die derzeit besonders hart von den Auswirkungen der skizzierten Entwicklungen betroffen sind. Das ist unser linker sozialer Grundansatz, deswegen trägt der Antrag kurzgefasst den programmatischen Titel „Maßnahmen gegen Energiearmut in Leipzig“.  

Der Bund will die steigenden Energiekosten bekanntlich mit zwei Entlastungspaketen abfedern. Sie haben jedoch gravierende Schwachstellen: eine davon ist die Tatsache, dass Empfängerinnen und Empfänger von Transferleistungen nur einmalig 200 Euro zusätzlich erhalten. Diese Almosen von runtergerechnet 16,66 € monatlich für ein Jahr werden die steigenden Kosten für die einkommensarmen Bevölkerungsgruppen nicht annähernd auffangen können. Allein durch die Inflationsrate von über sieben Prozent geht ein Monatsgehalt bzw. ein Hartz-IV-Satz im Jahr komplett verloren.  

Deshalb haben wir an die erste Stelle unseres Antrages die Forderung gestellt, dass sich der Oberbürgermeister gegenüber der Bundesregierung für eine Anhebung der Regelleistung für Leistungsberechtigte nach dem SGB II und des SGB XII einsetzt, um den gestiegenen Energiepreisen und Teuerungsraten Rechnung zu tragen. Wir begrüßen, dass es dazu schon einen positiven Verwaltungsstandpunkt gibt. 

Auch wenn wir keine konkrete Zahl genannt haben, gehen wir davon aus, dass sich der Oberbürgermeister die Berechnung der Paritätischen Forschungsstelle zu eigen macht. Ein armutsfester Regelsatz müsste danach 678 Euro für einen alleinstehenden Erwachsenen betragen und damit um mehr als 50 Prozent höher liegen als die derzeit gewährten Leistungen in der Grundsicherung. Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert, dass der geltende Regelsatz immer wieder trickreich kleingerechnet wird und schon lange an der Lebensrealität der Menschen komplett vorbeigeht. Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, bemängelt darüber hinaus die regierungsamtliche Berechnungsmethode und den bestehenden Fortschreibungsmechanismus zur jährlichen Anpassung als willkürlich und nicht geeignet, das verfassungsrechtlich gebotene soziokulturelle Existenzminimum abzusichern. 

Auch zu den Punkten zwei und drei unseres Antrages gibt es politische Unterstützung aus einer politisch unverdächtigen Ecke - nämlich von der Caritas Leipzig. Diese betreibt im Rahmen ihrer Beratungsangebote - die sie übrigens „armutsnahe Dienste“ nennen - seit vielen Jahren einen kostenlosen Stromspar-Check, der direkt in den Wohnungen der bedürftigen Haushalte durchgeführt wird. Von der Caritas wurde festgestellt, dass der Anteil am Regelsatz für Wohnen, Energie und Wohninstandhaltung in Höhe von 38,07 Euro keinesfalls ausreicht. Ein Leipziger Singlehaushalt mit geringem Einkommen bezahlt bei einem jährlichen Stromverbrauch von 1.200 kWh - das ist eine realistische Zahl - und einem Strompreis von 0,30 Euro monatlich 40,83 Euro, sofern er einen guten Altvertrag besitzt; bei einem Neuvertrag durch Umzug usw. liegt der Preis derzeit bei knapp 50 Cent pro kWh, das sind im Monat schon 61,83 Euro.  Die Caritas kommt angesichts dieser Zahlen zu folgender Schlussfolgerung: „Bereits aktuelle Energiepreise führen in finanziell bedürftigen Haushalten zu ‚Energiearmut‘. Um die Energiekosten decken zu können, muss an anderer Stelle in die Existenzsicherung hinein gespart werden. Das führt zu andauernder und steigender Verarmung.“ Und ich füge hinzu: Der Energiepreis ist der Brotpreis des 21. Jahrhunderts. Dieser Tatsache müssen wir uns alle gemeinsam stellen.


Mit der Einrichtung eines Härtefallfonds wollen wir dafür sorgen, dass niemand in Leipzig mit geringem oder keinem Einkommen in einer dunklen und kalten Wohnung sitzen muss und beantragen zugleich, dass Strom- und Gassperren verhindert werden. 2020 gab es in Leipzig immerhin 2.417 Stromabschaltungen und 2021 mit 2.389 fast genauso viele, jeweils mit einer durchschnittlichen Länge von fünf Tagen. Die hohen Nachzahlungen, die jeden von uns bereits erreicht haben oder erreichen werden, sind nicht einmal inkludiert. In diesem Jahr droht aber noch mehr Menschen der Verlust der Stromversorgung, weil sie die explodieren Kosten nicht bezahlen können. Eine Stromsperre hilft niemandem, oft verschlimmert sie die soziale Situation der Betroffenen noch. Wir fordern daher an anderer Stelle ein gesetzliches Verbot von Strom- und Gassperren – Energie ist ein Menschenrecht.  

Die von uns beantragten Härtefallfonds - damit komme ich zum Schluss - gibt es übrigens schon in Bremen, Hannover und München. In Berlin fordert ihn jetzt sogar auch die CDU. Insofern hoffen wir auf eine breite Zustimmung zu unserem Antrag.