Capa-Haus in Alt-Lindenau: Wir haben historische Verantwortung!

Dr. Volker Külow

Vor wenigen Tagen starb im fernen Cookeville im US-Bundesstaat Tennessee im hohen Alter von 101 Jahren Lehman R. Riggs. Nicht nur die Bürgerinitiative Capa-Haus trauerte um einen guten Freund, denn der US-Kriegsveteran war der letzte lebende Befreier Leipzigs vom Faschismus. Gemeinsam mit seinem Kameraden Raymond J. Bowman stand er am 18. April 1945 in der Jahnallee 61 am Maschinengewehr, als eine deutsche Kugel seinen Mitstreiter tödlich traf. Robert Capa hielt diesen erschütternden Moment in seinem legendären Foto „The last man to die“ („Der letzte Tote des Krieges“) für immer fest. Der weltberühmte Fotograf hat mit diesen eindringlichen Bildern das Grauen des Krieges abgebildet, um an den Frieden zu gemahnen.    

Seit Ende 2011 – als die Rettung des damals ruinösen Capa-Hauses kaum denkbar schien – gab es direkten Kontakt zu Lehman Riggs. Als 92-Jähriger kam er im April 2012 erstmals nach 67 Jahren wieder nach Leipzig. Aus diesem Besuch und Lehmans eindrucksvollem Auftreten erwuchs ein wichtiger Impuls im Kampf für den Erhalt des Gebäudes, der schließlich von Erfolg gekrönt war. 2016 kam Lehman erneut nach Leipzig zurück und erlebte als mittlerweile 96-Jähriger die Eröffnung der ständigen Ausstellung „War is over“ im Café Eigler im Capa-Haus sowie die Umbenennung eines Teilstücks der Lützener Straße in Bowman-Straße. Es war für alle Beteiligten ein unvergesslicher Moment, als Lehman eine Kopie des Straßenschildes überreicht wurde, das in seinem Haus in Cookeville einen Ehrenplatz bekam.     

In diesem Kontext wird deutlich, welche historische Verantwortung wir haben. Das Capa-Foto und der Ort an dem es entstand, stehen für eine Befreiungstat, die auch bittere Opfer erforderte; für einen einmaligen Moment in der tausendjährigen Geschichte unserer Stadt und durch ihre aktive Pflege für ein klares Bekenntnis zu Weltoffenheit, Geschichtsbewusstsein und universellen demokratischen Werten. Es geht um einen Schatz, den wir alle hüten sollten, und um einen zentralen Punkt für das Ansehen und die Ausstrahlung unserer Stadt. Der vorliegende Antrag geht auf ein Positionspapier der Bürgerinitiative zur Situation und den Perspektiven des Capa-Hauses zurück, das Ende Mai 2021 an die fünf antragstellenden Fraktionen ging. In diesem bürgerschaftlichen Statement wurde die spektakuläre Rettungsgeschichte des Hauses kurz skizziert und verdeutlicht, dass mit dem Capa-Haus in Alt-Lindenau ein bedeutender Geschichtsort entstanden ist, der weit über die Stadt Leipzig Aufmerksamkeit und Würdigung erlangt hat. Zugleich verwies das Papier auf die akute Gefahr, die dem Erinnerungsort durch die gegenwärtige Betreiberkonstruktion mit einem privaten Café am Rande der Insolvenz droht. Die Mitglieder der Bürgerinitiative appellierten daher zugleich an den Stadtrat und den Oberbürgermeister, eine tragfähige Perspektive für den markanten Gedenkort zu finden. „Ziel muss es sein,“ hieß es im Schlussabsatz, „das Capa-Haus im Verbund des Stadtgeschichtlichen Museums zu einem attraktiven Begegnungsort und einem Labor neuer erinnerungskultureller Ansätze weiterzuentwickeln.“

Genau diesen Gedanken stellten die fünf Fraktionen in den Mittelpunkt ihres Antrages: Der Erinnerungsort im Capa-Haus soll erhalten, institutionell an das Stadtgeschichtliche Museum angebunden und damit dauerhaft als öffentlich zugängliche Gedenkstätte auch finanziell gesichert und weiterentwickelt werden. Im Kern geht es darum, die historische Relevanz des Ortes dauerhaft im Bewusstsein der Leipzigerinnen und Leipziger und der Gäste unserer Stadt zu verankern und die weit über Leipzig hinausreichende Ausstrahlung des authentischen Geschichtsortes zu bewahren. Das Thema Befreiung 1945 kann nirgendwo besser in Leipzig so überzeugend verhandelt werden wie hier am durch ikonische Bildzeugnisse beglaubigten Ort. Das Capa-Haus könnte darüber hinaus einen wichtiger Ankerpunkt für das im Leipziger Westen entstehende erinnerungskulturelle Cluster rund um NS-Diktatur, antifaschistischen Widerstand, Befreiung 1945 und soziale Bewegungen (ich denke u.a. an das Memorial Ecke Karl-Heine/Zschochersche Straße, das Erich-Zeigner-Haus, den Felsenkeller) bilden.

Alle bisher von mir genannten Aspekte greift die Verwaltung erfreulicherweise auf. Dafür möchte ich an dieser Stelle der Kulturbürgermeisterin Dr. Skadi Jennicke und dem Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Dr. Anselm Hartinger ausdrücklich danken. Der Verwaltungsstandpunkt geht sogar einen Schritt weiter, wenn er feststellt, dass das ganze Erdgeschoss im Capa-Haus zu einer Aktionsfläche der stadtteilorientierten Bürgerpartizipation des Stadtgeschichtlichen Museums werden könnte.  

In der Tat: Die Räumlichkeiten eigen sich vortrefflich für Arbeitsberatungen, Projekt- und Buchvorstellungen, kleinere Symposien und Workshops sowie Bürgersprechstunden im Bereich Erinnerungskultur und Westkultur. Erstmals wäre eine Kombination des Ausstellungsbesuchs mit begleitenden Vermittlungsaktivitäten möglich. Man könnte die Räume auch zur Präsentation von Pop-up-Ausstellungen im Bereich der städtischen Geschichtskultur sowie für Aktivitäten von Bürger- und anderen Vereinen oder Veranstaltungen mit dem amerikanischen Generalkonsulat nutzen.  

Die Betreuung und behutsame Weiterentwicklung des Gedenkortes sollte natürlich in der Verantwortung des Stadtgeschichtlichen Museums bleiben. Das Capa-Haus hat unstrittig das Potential, sich zum Zentrum einer lebendigen Erinnerungskultur im Leipziger Westen zu entwickeln, zu einem Gedenkort mit überregionaler Ausstrahlung, einer vielfältig nutzbaren Aktionsfläche mit großer thematischer Breite und hoher Besucherresonanz. In diesem Sinne freuen wir uns auf die angekündigte Beschlussvorlage im vierten Quartal und stimmen dem Verwaltungsstandpunkt gern zu.