Auch die Mulde ist keine Kuh, die man unendlich melken kann!

Michael Neuhaus

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Beigeordnete, liebe Geimpfte und Verchipte,

Der Osten macht Kohleausstieg seit 1990. Zur Wendezeit arbeiteten alleine in der Lausitz ca. 75 000 Beschäftigte in der Braunkohle. Im Lausitzer- und mitteldeutschen Revier zusammen lebten ca. 160.000 Menschen von der Kohle. Nach 1990 wurden viele Tagebaue dichtgemacht. Unzählige Menschen verloren ihre Jobs, ganze Städte und Landstriche bluteten aus. Quasi über Nacht musste die Renaturierung riesiger Gebiete organisiert werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin weder ein Fan der Braunkohleverstromung noch finde ich Kohleklumpen oder Mondlandschaften ästhetisch. Auch versichere ich ihnen, dass große Bagger in mir weder Bewunderung noch erotische Gefühle auslösen. All das braucht es auch nicht, um beim Thema Kohleausstieg nervös zu werden. Es reicht vollkommen, die Fehler der Wendezeit nicht wiederholen zu wollen. 

Klar ist aber auch: Wenn wir die Pariser Klimaziele erreichen wollen, ist ein wesentlich früherer Kohleausstieg keine Frage, sondern eine Notwendigkeit. Und er ist auch machbar. Allerdings braucht es dafür nicht nur Zahlendebatten, sondern vor allem konkrete politische Pläne. Schon nach den Sondierungen der Ampel hieß es, dass die neue Koalition idealerweise 2030 aus der Kohle raus will. Gespannt lasen dann alle den Koalitionsvertrag, um anschließend festzustellen, dass man hinterher genauso wenig weiß wie vorher. Bei Menschen, die an konkreten Plänen arbeiten, um den Kohleausstieg zu vollziehen, löste diese nichtssagende Formulierung nur Kopfschütteln aus. 

Kohleausstieg, das heißt nämlich so viel mehr als einfach nur den Bagger stehen zu lassen und das Kohlekraftwerk abzuschalten. Kohleausstieg, das heißt, einen Plan in der Tasche zu haben, wie es mit den Menschen in den betroffenen Regionen weitergeht. 

Die sächsische Staatsregierung hat es hingegen geschafft, 1 Milliarde Euro Strukturwandelgelder, die bis 2026 reichen sollten, jetzt schon komplett zu verpulvern. Kohleausstieg, das heißt aber auch, Tagebaufolgelandschaften in blühende Landschaften zu verwandeln. 

Dieses Mal aber wirklich!

Und hier kommt Leipzig ins Spiel: Das Leipziger Neuseenland ist nämlich nicht nur ein Gebiet für Freizeit und Freizügigkeit, wie Stadtrat Schmidt ihnen sicher bestätigen kann, sondern ein Ort, an dem Kohleausstieg stattfand und sogar noch stattfindet. Mit dem endgültigen Braunkohle-Aus soll dort ab 2038/2039 der Pereser See entstehen. Ungefähr 2060 könnte ich dann meinen 67-jährigen Po ins kühle Nass halten. 

Der Pereser See wäre mit einem Volumen von ca. 430 Millionen Kubikmetern, 80 Meter Wassertiefe und einer Fläche von Sage und Schreibe 12km² der größte See der Region. Wie der Herr Oberbürgermeister sicher bestätigen kann, zeigt meine Verwendung des Konjunktiv das Reich der Phantasien, Vorstellungen und Wünsche an. Bei einem vorgezogenen Kohleausstieg um drei bis fünf Jahre wird der Pereser See vermutlich nämlich gar nicht entstehen. 

Anstatt des eines großen Kohlekraters würde es dann nämlich drei geben. Und apropos Fluten: so eine Braunkohlelatrine ist keine Badewanne, wo man einfach den Wasserhahn aufdreht. Ihre Badewanne ist nämlich keine Todesfalle. Zumindest nicht, wenn sie nicht gerade stark alkoholisiert oder mit einem Föhn hineinsteigen, wovon ich an dieser Stelle dringend abraten möchte.

Ein Tagebau schon. Nach der Stilllegung des Tagebaues braucht es also noch ein paar Jahre Erdarbeiten, um eine Katastrophe wie in Nachterstedt 2009 , wo ein Böschungsrutsch Häuser in die Tiefe riss und drei Menschenleben forderte, zu verhindern. Aber auch das Wasser für die Flutung muss erstmal irgendwoher kommen. Immerhin reden wir hier von 430 Millionen Kubikmetern. Das sind 240 000 Badewannen. Die Anzahl der Latrinen habe ich nicht ausgerechnet.

Doch woher das Wasser nehmen? 

Bisher orientieren sich die Pläne MIBRAG einer Anfrage der Linksfraktion im sächsischen Landtag zufolge am Kohleausstiegsgesetz. Also am Jahr 2038. Der Plan sieht vor, dass der Groitzscher See, also der See neben dem Pereser See, ab 2030 mit dem abgepumpten Wasser aus dem Tagebau Peres geflutet wird. Das Wasser für den Perser See soll acht bis neun Jahre später aus der weißen Elster oder der Mulde kommen. Man nutzt das Wasser eines aktiven Tagebaus um einen stillgelegten Tagebau zu Fluten.

Bei einem vorgezogenen Kohleausstieg ist dieser Plan schöne Plan vermutlich dahin. Hinzu kommt, dass der Planungsverband Westsachsen jetzt schon davon ausgeht, dass die weiße Elster für die Flutung nicht genug Wasser führt und man folglich auf die Mulde zurückgreifen muss. Aber auch die Mulde ist keine Kuh, die man unendlich melden kann. Sonst würde sie vermutlich Muh-lde heißen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich für meinen Teil möchte wissen ob vor unserer Haustür ein See entsteht oder sogar drei. Ich will auch wissen, woher wir das Wasser nehmen und welche Folgen das gegebenenfalls für unsere Leipziger Flüsse hat. Bund- und Land müssen endlich klare Ansagen machen. Wir schreiben das Jahr 2022. Wir wissen inzwischen, dass der Kohleausstieg nicht erst 2038 kommen darf und dass er früher kommen wird. 

Im vorliegenden Antrag fordern wir deshalb, dass sich die Stadt Leipzig dafür einsetzt Pläne für die Renaturierung im Falle eines vorgezogenen Kohleausstieges auszuarbeiten. Land und Kohleunternehmen tun das scheinbar jedenfalls noch nicht.