VII-A-07421-NF-02 Schutzschirm gegen Teuerung – 13-Punkte-Garantieplan

Fraktion DIE LINKE

Die Ratsversammlung beauftragt den Oberbürgermeister,

I.

sich auf allen politischen Ebenen sowie über die Gremien des Deutschen Städtetages, insbesondere gegenüber der Sächsischen Staatsregierung und der Bundesregierung unverzüglich dafür einzusetzen, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern einen zuverlässigen Garantieplan für Versorgungssicherheit, für Standort- und Arbeitsplatzsicherung sowie für bezahlbare Energie-, Heiz-, Brenn- und Treibstoffpreise (kurz: Schutzschirm gegen Teuerung) umsetzt, mit dem insbesondere im Rahmen eines zu errichtenden und auskömmlich zu finanzierenden Aufbruchfonds:

 

  1. durch einen bundesweiten Notfallversorgungs-Maßnahmenplan die sichere Versorgung von Unternehmen, Haushalten und Verbraucherinnen und Verbrauchern mit Energie, Heiz-, Brenn- und Kraftstoffen zu sozialverträglichen Preisen sichergestellt und die drohende Kostenexplosion bei der Fernwärmeversorgung abgewendet wird;
  2. für das zur Stromproduktion genutzte Gas nach dem Vorbild der jüngst in Spanien und Portugal eingeführten Regelungen ein bundesweiter Preisdeckel eingeführt wird und die Brenn- und Treibstoffpreise für die Verbraucherinnen und Verbraucher wirksam gedeckelt werden;
  3. die Lebensmittelpreise durch die einstweilige Aussetzung der Erhebung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel (Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf 0 Prozent), die unmittelbar an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben wird, abgesenkt werden;
  4. ein Rettungs- und Stabilisierungsfonds für betroffene Unternehmen eingerichtet wird, mit dem Insolvenzen infolge der Sanktionen, Embargos und Preissteigerungen verhindert werden;
  5. insbesondere über kommunale Unternehmen, die den öffentlichen Auftrag zur Grundversorgung mit Energie sowie zur Sicherstellung öffentlicher Daseinsvorsorge (die Unternehmen der L-Gruppe) erfüllen, ein Schutzschirm gespannt wird für den Fall eigener Zahlungsschwierigkeiten und bei Zahlungsausfällen ihrer Kundinnen und Kunden wegen der gestiegenen Energiepreise sowie bei der Erfüllung des öffentlichen Auftrags;
  6. ein Re-Start für den Ausbau erneuerbarer Energien und des Klimaschutzes in allen Bereichen des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens gelingt;
  7. die Regelungen zum Neun-Euro-Ticket mindestens bis zum 31. Dezember 2022 verlängert werden;
  8. die Übergewinne der Mineralölkonzerne mit einer Übergewinnsteuer abgeschöpft und die dabei vereinnahmten Mittel direkt an die Verbraucherinnen und Verbraucher zurückgegeben werden;
  9. die bisherigen Maßnahmen zur Entlastung der Bevölkerung auch auf Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende mittels eines Sofortprogramms ausgeweitet werden, das monatliche Zahlungen von 125 Euro für jeden Haushalt und 50 Euro für jedes über ein Haushaltsmitglied hinausgehendes Mitglied des Haushaltes vorsieht;
  10. die Einführung einer Kindergrundsicherung schnellstmöglich in Höhe von 699 Euro sichergestellt sowie das Wohngeld und soziale Transferaufwendungen sofort um 200 € monatlich erhöht werden;
  11. die erforderliche Gesetzesinitiative ergriffen wird, innerhalb der nächsten sechs Monate eine funktionierende und wirksame staatliche Energiepreisaufsicht bei der Bundesnetzagentur (wieder) einzuführen und umzusetzen, um Preisspekulationen und Wucherpreise bei Energieversorgern wirksam zu verhindern;
  12. sichergestellt wird, dass mittels eines Kündigungsmoratoriums niemandem die Wohnung gekündigt werden darf, „der wegen stark gestiegener Heizkosten seine Nebenkostenabrechnung oder hohe Preisanpassungen nicht fristgerecht bezahlen kann“.
    Gemäß den Forderungen des Deutschen Mieterbundes soll Mieterinnen und Mietern mindestens ein halbes Jahr Zeit gegeben werden, um Energieschulden zu begleichen.[1]
  13. schnellstens ein gesetzliches Verbot der Sperrung oder Abschaltung der Strom- und Gasversorgung für private Haushalte eingeführt wird, insbesondere für besonders schutzbedürftige Personengruppen wie beispielsweise Familien mit Kindern, chronisch kranke Menschen, Menschen mit Behinderungen, Seniorinnen und Senioren und pflegebedürftige Menschen, die die zur Begleichung der Strom- und Gasrechnungen erforderlichen Finanzmittel nicht aus eigener Kraft aufbringen können.

 

II.

umgehend eigene Maßnahmen zu ergreifen

  1. um das Kündigungsmoratorium für Mietraum auf kommunaler Ebene bereits ins Werk zu setzen und dafür als Gesellschafterin entsprechende Weisung an die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft zu erteilen sowie mit anderen in Leipzig vermietenden Wohnungsgenossenschaften entsprechende Vereinbarungen zu treffen.
  2. um Strom- und Gassperren für Privathaushalte zu verhindern und dazu mit den Stadtwerken und im Stadtgebiet als Grundversorger tätigen Energieunternehmen entsprechende Verhandlungen zu führen.

Der Oberbürgermeister wird beauftragt, monatlich hierzu den Fraktionen zum Umsetzungsstand und den Aktivitäten zu berichten und Ende des Jahres der Ratsversammlung einen Bericht zur Kenntnis zu geben.

[1]

https://www.mieterbund.de/fileadmin/public/pdf_PM/20220630-9PunktePlan.pdf , letzter Aufruf 4. Juli 2022

 

Begründung:

Infolge der Corona-Pandemie und unterbrochener Lieferketten sowie der Verknappung von Rohstoffen, Vor- und Halbprodukten ist ein erster erheblicher Teuerungsschub bis auf die Verbraucherpreise durchgeschlagen. Die im Zuge des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine verhängten Sanktionen und Embargos haben darüber hinaus zu einer weiteren enormen Teuerung und rasant steigenden Preisen für Lebensmittel sowie für Energie, Brenn-, Heiz- und Kraftstoffe geführt, die außer Kontrolle geraten scheinen. Angesichts der unsicheren Lage bei Öl- und Gasimporten ist beim Blick auf die künftige Entwicklung neben der Verteuerung der Verbraucherpreise die wirtschaftliche Tätigkeit von energieintensiven Unternehmen mit großen Fragezeichen versehen. Dies kann sich in der Konsequenz auf die Einkommen und die Beschäftigung auch in Leipzig nachteilig auswirken.

Die Unternehmen der L-Gruppe erfüllen in öffentlichem Auftrag originäre Aufgaben zur Sicherung der Daseinsvorsorge. Insbesondere die wirtschaftliche Tätigkeit der Leipziger Verkehrsbetriebe, der Stadtwerke Leipzig und der Kommunalen Wasserwerke, aber auch die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft sind durch die beschriebenen Entwicklungen durch Embargos und Preisexplosionen massiv betroffen, einerseits die Marktpreise zu zahlen und andererseits den öffentlichen Auftrag zur Sicherung der Daseinsvorsorge für alle Einwohnerinnen und Einwohner aller Einkommensschichten sicherzustellen.

Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, hat dies am 29. Juni 2022 in der Bundespressekonferenz bei der Vorstellung des Paritätischen Armutsbericht 2022 so formuliert: „Mit den seit Herbst 2021 steigenden Lebenshaltungskosten ist eine erst allmähliche, nun aber geradezu dramatische Vertiefung der Armut hinzugekommen. Bei einer Inflationsrate von im Mai 7,9 Prozent hatte ein Regelsatz in Hartz IV oder Altersgrundsicherung von 449 Euro im Vergleich zum Vorjahr gerade noch eine Kaufkraft von 414 Euro. Menschen, die von Grundsicherung leben müssen – und das sind rund sieben Millionen – wissen nicht mehr ein noch aus. Und nicht nur sie,
hinzu kommen mindestens noch einmal so viele, deren Einkommen nur geringfügig über
Grundsicherungsniveau liegt, die ebenfalls kaum noch wissen, wie sie finanziell das Ende
des Monats erreichen sollen.“[1]

Für die 17,1 % der von Armut Betroffenen in Sachsen wird mit der massiven Teuerung des täglichen Lebens das Risiko deutlich steigen, den einfachen Lebensunterhalt, das tägliche Leben kaum noch auskömmlich finanzieren zu können.[2] Ihre Versorgung mit Haushaltsenergie sowie ihre Mietnebenkosten werden aufgrund der Teuerung deutlich gefährdet. Die Inflationsrate wurde durch das Statistische Bundesamt für den Monat Mai 2022 mit 7,9 % auf dem höchsten Stand seit mehr als 40 Jahren festgestellt. Nahrungsmittel unterliegen sogar einer Teuerungsrate von derzeit 11,1 % und die Verbraucherpreise für Haushaltsenergie und Kraftstoffe von 38,3 %.[3] Bereits liegen die Gaspreise durch die höheren Netzentgelte in den ostdeutschen Bundesländern höher als im Bundesdurchschnitt.

Entsprechend einer aktuellen Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung geben mehr als die Hälfte der Erwerbspersonen mit niedrigerem Einkommen an, wegen der steigenden Inflation den Kauf von Lebensmitteln einzuschränken. 52 Prozent der Erwerbspersonen in Deutschland mit einem relativ niedrigen Haushaltseinkommen bis 2.000 Euro netto monatlich sehen sich genötigt, weniger Lebensmittel zu kaufen, weil die Preise so stark gestiegen sind, insbesondere für Energie. Darunter wollen rund 18 Prozent den Konsum von Nahrungsmitteln, Getränken, Tabakwaren und Ähnlichem sogar „bedeutend“ zurückfahren. Die Befragungsdaten zeigen auch, wie groß die Lücken sind, die vor allem die Explosion der Energiepreise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine in viele Haushaltsbudgets reißt: Knapp 36 Prozent der befragten Erwerbspersonen geben an, sie bräuchten aktuell monatlich 100 bis 250 Euro zusätzlich, um ihren bisherigen Lebensstandard halten zu können, weitere 25 Prozent beziffern den Bedarf auf 50 bis 100 Euro. 16 Prozent nennen sogar 250 bis 500 Euro.[4]

Die Ergebnisse zeigten, wie die hohe Inflation soziale Ungleichheiten verschärft, analysieren die Studienautoren. Den hohen Spardruck bei Erwerbspersonen mit niedrigeren Einkommen – und deren Familien – nennen sie „umso bedenklicher, als dass diese Haushalte in besonderem Maße Einsparungen bei Grundbedürfnissen wie Lebensmittel, Kleidung und Schuhe planen, für die nach den Daten der amtlichen Statistik in dieser Gruppe ohnehin nur begrenzte Mittel aufgewendet werden“. Darüber hinaus drohe die sich abzeichnende Konsumzurückhaltung „die Erholung des privaten Verbrauchs nach der Corona-Pandemie zu verzögern“. Das könne die Konjunktur deutlich schwächen. Die Forscher konstatieren darüber hinaus, dass die Entlastungen durch die Hilfspakete der Bundesregierung für Haushalte mit geringeren und mittleren Einkommen nicht ausreichend seien und noch stärker sozial fokussiert werden müssten.

In Leipzig sind derzeit über 30.000 Familien – in der Summe über 50.000 Erwachsene, Kinder und Jugendliche - von Grundsicherungsleistungen der Bundesagentur für Arbeit und des Jobcenters abhängig. Tendenz nicht zuletzt durch den Rechtskreiswechsel der aus der Ukraine Geflüchteten steigend. Hinzukommen tausende grundsicherungsempfangende Seniorinnen und Senioren, aus anderen Ländern Geflüchtete, erwerbsgeminderte Personen sowie Menschen mit geringem und niedrigem Einkommen, die keine stillen Reserven des Sparens besitzen. In vielen individuellen Gesprächen wird unserer Fraktion eindringlich die ansteigende soziale Notlage geschildert. Es ist als Stadtrat unsere politische Aufgabe, diese katastrophale Schieflage an die Landes- und Bundesebene zu kommunizieren und den Oberbürgermeister aufzufordern, sich zwecks Gegensteuerung dementsprechend einzusetzen.

[1]https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Schwerpunkte/Armutsbericht/doc/220629_Armutsbericht_Pressestatement-Schneider.pdf, letzter Aufruf 01. Juli 2022

[2]https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Schwerpunkte/Armutsbericht/doc/broschuere_armutsbericht-2022_web.pdf , S. 15, letzter Aufruf 1. Juli 2022

[3]https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/06/PD22_272_611.html , letzter Aufruf 30. Juni 2022

[4]https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008342 , letzter Aufruf 1. Juli 2022