VII-A-07207 Modellprojekt Gesundheitsprävention durch Substanzanalyse (Drug Checking) entwickeln!

Fraktion DIE LINKE
  1. Die Stadtverwaltung trifft bis Mitte des Jahres 2023 Vorbereitungen für ein Modellprojekt Gesundheitsprävention durch Substanzanalyse (Drug Checking) in Leipzig. Das Modellprojekt soll aus einem stationären Labor und dezentralen Annahmestellen bei Trägern bzw. Anlaufstellen bestehen. In diesen dezentralen Einrichtungen sollen Beratungen für die die Substanz einreichende Person stattfinden, die von fachlich versierten Personen durchgeführt werden. Die in den dezentralen Anlaufstellen entgegengenommen Substanzen werden an das Labor weitergegeben und dort mittels zuverlässiger und ausreichend sensitiver Verfahren auf Inhaltsstoffe analysiert. Das Labor soll Teil einer Apotheke nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 e) BtMG oder Teil einer Landesbehörde nach § 4 Abs. 2, 1 BtMG oder einer von einer Landesbehörde beauftragten Einrichtungen nach § 4 Abs. 2, 2 BtMG sein. Gleichermaßen soll das Modellprojekt mobile Formen von Drug-Checking berücksichtigen und Konzeptionen für mobile Labore und Beratungsteams, welche Drug-Checking- und Beratungsangebote direkt vor Ort in Clubs, auf Konzerten und bei ähnlichen Veranstaltungsformaten anbieten können, beinhalten. In die Erarbeitung der Konzeption werden die Universität Leipzig und Träger der Drogenhilfe einbezogen. 
  2. Für die Entwicklung des Modellprojektes werden im kommenden Haushalt 50.000 € zur Verfügung gestellt. Diese werden für die personelle Begleitung der Konzepterstellung beim Gesundheitsamt und einem fachlich geeigneten Freien Träger sowie notwendige weitere Kosten (Konsultationen von Expert*innen, Reisekosten, Sachkosten) verwendet.
  3. Die Stadt Leipzig tritt in Verhandlung mit dem Freistaat Sachsen über die Einbeziehung von Landeseinrichtungen (Hochschule/ Universitätsklinikum) in die Konzeptionierung und eine mögliche Durchführung des Modellprojektes. Zudem wird der Abschluss einer Kooperationsvereinbarung mit Polizei und Staatsanwaltschaft angestrebt, die den reibungslosen Ablauf des Drug-Checking ermöglicht, solange auf Bundesebene nicht die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen sind.

 

Begrünung:

Seit mehreren Jahrzehnten ist Drug-Checking als erfolgreiches Instrument eines schadensminimierenden Ansatzes in den Gesundheitswissenschaften und in der Drogen- und Suchtberatung bekannt. Trotz mehrerer Versuche der Etablierung derartiger Projekte in Deutschland scheiterten diese bisher immer an einer Blockadehaltung in der Politik mit Verweisen auf die vermeintliche Rechtswidrigkeit der Durchführung von Drug-Checking. Einem Rechtsgutachten von Prof. Cornelius Nestler aus dem Jahr 2018 folgend, wäre Drug-Checking aber, mit Einschränkungen, auch unter derzeitig geltender Rechtslage möglich, worauf das in Vorbereitung befindliche Modellprojekt des Landes Berlin fußt.

Im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP auf Bundesebene heißt es, dass „Maßnahmen […]. Welche die Verminderung der Begleitrisiken von Drogenkonsum („Harm Reduction“) zum Ziel haben“ – darunter Drug-Checking – ermöglicht und ausgebaut werden sollen. Die Ankündigung der neuen Bundesregierung, Drug-Checking explizit zu legalisieren, ermöglicht auch auf kommunaler Ebene umfassenden Spielraum für die Etablierung entsprechender Pilotprojekte.

Die Stadt Leipzig ist besonders geeignet für ein Drug-Checking-Pilotprojekt, nicht zuletzt aufgrund ihrer großen, vielfältigen Partyszene und entsprechend beliebten Szenedrogen, einer erheblichen Anzahl an intravenös-Konsumierenden und als Stadt in Ostdeutschland auch als eines der Zentren des Konsums von Methamphetamin. In den vergangenen Jahren sind zudem vermehrt hochpotente Substanzen (vor allem Ecstasy mit extrem hohem MDMA-Anteil) und verunreinigte Substanzen (vor allem mit synthetischen Cannabinoiden versetztes Cannabis) im Umlauf. Weiterhin bergen neue psychoaktive Substanzen, die zum Teil über das Internet vertrieben werden, zahlreiche neue Risiken in sich. Daher ist die Antragstellerin der Auffassung, dass sich die Stadt Leipzig bereits jetzt aufmachen und die Voraussetzungen für den Start eines Modellprojektes schaffen sollte, um dieses zeitnah nach Änderung der bundesgesetzlichen Rahmensetzungen an den Start zu bringen. Vorbildfunktion können hier die seit Jahren erfolgreich arbeitenden Projekte im deutschsprachigen Ausland in Wien und Zürich ebenso haben wie die in vielen anderen europäischen Ländern seit Jahrzehnten praktizierenden, wissenschaftlich begleiteten Drug-Checking-Angebote, deren internationales Netzwerk TEDI mit der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in Lissabon kooperiert.

Drug Checking ist eine wirksame Methode der Schadensminimierung beim Konsum illegalisierter Substanzen. Die gängige Vorgehensweise beim Drug-Checking besteht darin, dass der/die Klient*in eine Probe einer Substanz bei der stationären oder mobilen Annahmestelle abgibt, welche in einem den Rahmenbedingungen entsprechenden stationären oder mobilen Labor chemisch analysiert wird. In einem anschließenden Beratungsgespräch geben geschulte Mitarbeitende des Drug-Checking-Projekts Auskunft über das Ergebnis der Substanzanalyse, klären über die schädigenden Auswirkungen des Konsums auch nicht-verunreinigter illegalisierter Substanzen auf und regen den/die Klient*in zu einer Reflexion des eigenen Konsumverhaltens an. Bei Bedarf können Konsumierende auch direkt an Angebote der Sucht- und Drogenhilfe weitervermittelt werden. Hierdurch werden nicht nur der Wissensstand der Zielgruppe hinsichtlich der Bestandteile und Risiken der konsumierten Substanzen erhöht und Schwellen zur Inanspruchnahme von Hilfsangeboten zur Suchtbewältigung gesenkt – ebenso verzichtet der allergrößte Teil der Konsumierenden auf die Einnahme einer Substanz, bei welcher durch das Drug-Checking hochriskante Beimengungen nachgewiesen werden konnten. Die Kritik, Drug-Checking beinhalte eine Animierung zum Substanzkonsum oder das Vorgeben falscher Sicherheit beim Konsum von Substanzen, die auch in Reinform gesundheitsschädlich sind, zielt somit ins Leere.

Durch die Illegalisierung von Drug-Checking ist die Datenlage für Deutschland – im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten – zwar dünn. Die Erkenntnisse bisheriger, größtenteils im Ausland durchgeführter Forschung, lassen sich aber dennoch problemlos auf die deutsche Gesellschaft übertragen. So belegt etwa eine vielzitierte, im Rahmen eines Pilotprojektes in Wien, Amsterdam und Hannover durchgeführte Studie von 2002 (Benschop, A., Rabes, M. & Korf, D. J. (2002). Pill Testing, Ecstasy & prevention. A scientific evaluation in three European cities.), dass infolge der Drug-Checking-Angebote kein Anstieg des Konsums oder gesteigerten Erstkonsums von Menschen, die ohne Drug-Checking nicht konsumiert hätten, zu beobachten ist, wohl aber ein späterer oder gar kein Erstkonsum.

Weitere Studien zeigen, dass es keinen höheren Konsum illegalisierter Substanzen in jenen Ländern gibt, die Drug-Checking legalisiert haben. Ebenfalls konsumieren Drug-Checking-Nutzende nicht mehr als Menschen, die Drug-Checking-Angebote nicht nutzen. Weiterhin verbessert Drug-Checking den Zugang zu einer sonst nur sehr schwer zu erreichenden Zielgruppe und somit die Wirksamkeit der Drogenprävention, denn Mitarbeitende der Drug-Checking-Projekte werden von der Zielgruppe eher als Beratende akzeptiert und auf Augenhöhe wahrgenommen, als dass Kriminalisierung und Dämonisierung des Konsums oder Präventionsappelle staatlicher Institutionen vom Konsum abhalten. Vielmehr erhöht Drug-Checking auch die Sensibilität und selbstregulatives Verhalten innerhalb der Zielgruppe.

Zuletzt fließen die Ergebnisse der Substanzanalysen im Rahmen von Drug-Checking auch in internationale Datenpools ein, um ein Monitoring des sich dynamisch verändernden illegalisierten Marktes zu ermöglichen. Somit ist etwa eine Häufung des Auftretens verunreinigter Substanzen schneller detektierbar, wonach zeitnah die Veröffentlichung großangelegter Warnungen erfolgen kann, sodass ein Drug-Checking-Projekt in Leipzig auch zum Schutz vieler weiterer Konsumierender weit über die Stadtgrenzen hinaus beitrüge.